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New York für Anfaengerinnen

New York für Anfaengerinnen

Titel: New York für Anfaengerinnen
Autoren: Susann Remke
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blass-orangefarbenen Buchstaben auf einem grau-weißen Kieselsteinmeer im Hintergrund: »www.sehnsucht.com Machen Sie sich glücklich.«
    Zoe blieb für ein paar Sekunden ehrfürchtig unter dem riesigen Werbeschild stehen. So stolz auf sich war sie noch nie in ihrem Leben gewesen. Ihr Projekt. Auf einer der ikonischsten Reklametafeln der Welt. Beschwingt flip-floppte sie weiter den Broadway hinauf und murmelte ihr neues Mantra: »Sehnsucht. Machen Sie sich glücklich.«
    Wie toll das klang!
    Es war perfekt!
    Als sie in der vierten Etage aus dem Aufzug stieg, wartete Justus schon mit vor der Brust verschränkten Armen in der Bürotür auf sie, wie ein Lehrer, der seinen ungezogenen Schüler jetzt gleich in die Ecke stellen würde. »Lies lieber nicht die Besprechungen auf den Medienseiten der Zeitungen«, warnte er düster. »Sonst kriegst du schlechte Laune.«
    Zoes Herz machte einen kleinen Aussetzer. Gleichzeitig bekam sie ein schrecklich flaues Gefühl im Magen. »Schlimm?«
    »Viel schlimmer«, raunte Justus nur.
    Auf Zoes Schreibtisch lag bereits der morgendliche Medienspiegel, den die Pressestelle von Schönhoff Publishing in Berlin jeden Tag für die Führungskräfte des Hauses mit allen wichtigen Geschichten aus Deutschland und dem Rest der Welt, die das Unternehmen betrafen, erstellte. Er begann mit einem Artikel des Deutschen Medien Dienstes über den Launch von Sehnsucht .
     
    Ein Portal, das keiner braucht, für Leute, die alles haben
     
    Schönhoff Publishing, das mächtige Konsumkonglomerat, das sich gerne als Medienunternehmen tarnt, ist für vieles bekannt. Zum Beispiel dafür, dass für den telefonbuchdicken Schönhoff-Katalog, der im Frühjahr und Herbst jeden Jahres unaufgefordert deutsche Briefkästen zumüllt, jedes Mal ganze Wälder sterben müssen.
    Kurz: Für Schönhoff Publishing ist es ungefähr genauso glaubwürdig, mit einer Riesen-Werbekampagne ein Gutmensch-Portal mit dem an Dämlichkeit grenzenden Namen Sehnsucht zu starten, wie wenn Rupert Murdoch eine Ethik-Zeitschrift auf dem Markt bringen würde.
     
    Zoe traute ihren Augen nicht. Sie war fast versucht, ein Kleenex zu holen, um die Häme aufzuwischen, die aus dem Artikel auf ihren Schreibtisch triefte. Sicher, der DMD war für seinen zynisch-ruppigen Ton bekannt. Deswegen wurde er von Medienmenschen aller Sparten ja jeden Morgen genüsslich gelesen. Aber ein bisschen mehr Objektivität konnte man doch schon verlangen, oder?
     
    Das drollige Sehnsucht-Gespann, das aus Modemaus Zoe Schuhmacher und dem verlorenen Söhnchen Justus von Schönhoff besteht, könnte keine bessere Besetzung für ein schnödes und miserabel getarntes Konsumportal für Menschen sein, die alles haben, noch mehr wollen, dies aber nicht einmal sich selbst gegenüber zugeben möchten. Schuhmacher versteht von echter Nachhaltigkeit so viel wie ein Vegetarier von Kobe Beef. Und von Schönhoff, na ja, der ist halt auch wieder da und musste von der Frau Mama eine Aufgabe bekommen, bei der er nichts falsch machen kann. Außer ein paar ihrer Milliönchen in den völlig ohne CO 2 -Ausstoß abgebauten, tierversuchsfreien Bio-Sand zu setzen.
     
    Drollig? Modemaus? Milliönchen? Angeekelt schmiss Zoe den Pressespiegel mit spitzen Fingern in den Papierkorb wie ein Stück Zeitungspapier, mit dem man sich gerade Hundescheiße von der Schuhsohle gerieben hatte. »Das ist so gemein! Und unfair!«
    Justus nickte nur. Dann sagte er langsam: »Wer in der Küche steht, darf sich über die Hitze dort nicht beschweren. So heißt der Spruch doch, oder?«
    »Schwachsinniger Spruch«, rief Zoe ungehalten und fischte wieder nach dem mit imaginärer Hundescheiße besudelten Pressespiegel. »Was sagen denn die anderen?«
     
    Ein unausgegorenes Gesamtprodukt aus Bio, frohen Botschaften und ein bisschen Boheme für eine Zielgruppe, die vermutlich gar nicht existiert. (Media Decoder, New York Times )
     
    Gewollt trendiger Zeitgeist, der zwischen Weltwirtschaftskrise, steigender Arbeitslosigkeit und steter Terrorangst einfach nur zynisch wirkt. (DasMedienBlog.de)
     
    Backen, stricken, basteln – aber bitte in bio. Hausmütterliches aus dem Hause der Modeikonen von VISION. Putzig! ( Berliner Neue Nachrichten )
     
    Zoe ließ den Pressespiegel sinken. »War’s das?«, fragte sie leise über den Schreibtisch hinüber.
    Justus grinste sie an. »Das war’s!«, rief er hocherfreut.
    Zoe verstand nicht richtig. »Was gibt es da bitte zu jubeln? Wir sind gerade von den Kritikern vernichtet
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