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Nevada Pass

Nevada Pass

Titel: Nevada Pass
Autoren: Alistair MacLean
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daß es undenkbar gewesen wäre, einem Verbrecher wie ihm etwas anzubieten, wäre es ihm auch physisch unmöglich gewesen, ein Glas an seine Lippen zu heben, da seine Hände hinter seinem Rücken zusammengebunden waren. Er kauerte höchst unbequem und mit gefesselten Füßen nahe dem Gang, der in die Schlafkabinen führte. Außer Marica, die ihm gelegentlich einen besorgten Blick zuwarf, schien niemand sich über seinen Zustand Gedanken zu machen. Im Grenzgebiet war ein Menschenleben nicht viel wert, und Leid etwas so Alltägliches, daß man es kaum noch zur Kenntnis nahm, geschweige denn Mitleid empfand.
    Nathan Pearce hob sein Glas: »Auf gute Gesundheit, meine Herren. Mein Ehrenwort, Colonel, ich habe nicht geahnt, daß die Armee so komfortabel reist. Kein Wunder, daß unsere Steuern –«
    Claremont fiel ihm ins Wort: »Die Armee reist keineswegs so komfortabel, Marshal. Dies ist der Privatwaggon von Gouverneur Fairchild. Hinter Ihrem Rücken befinden sich die beiden Schlafkabinen, die normalerweise für den Gouverneur und seine Frau reserviert sind – in diesem Fall für den Gouverneur und seine Nichte – und dahinter liegt der private Speiseraum. Der Gouverneur hat uns freundlicherweise angeboten, mit ihm zu reisen und zu essen.«
    Pearce hob erneut sein Glas. »Bravo, Gouverneur.« Dann sah er den Gouverneur fragend an: »Was ist los, Gouverneur? Sie wirken ein wenig besorgt.«
    Und das tat er wirklich: Er schien blasser als gewöhnlich, und sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt. Jetzt zwang er sich zu einem Lächeln, leerte sein Glas, füllte es wieder und schlug einen gewollt leichten Ton an.
    »Staatsgeschäfte, lieber Marshal, Staatsgeschäfte. Das Leben als Gouverneur besteht nicht nur aus Empfängen und Bällen, wissen Sie?«
    »Das kann ich mir vorstellen, Gouverneur.« Pearce beugte sich ein wenig vor und fragte: »Was hat Sie zu dieser Reise bewegt, Sir? Ich meine, als Zivilist –«
    O'Brien unterbrach ihn: »Ein Gouverneur hat in seinem Staat volle militärische Gewalt, Nathan. Das wissen Sie sicher.«
    Fairchild sagte selbstgefällig: »Bestimmte Angelegenheiten erfordern meine persönliche Anwesenheit in Fort Humboldt.« Er warf einen kurzen Blick zu Claremont hinüber, der fast unmerklich den Kopf schüttelte. »Mehr kann ich nicht sagen – jedenfalls nicht in diesem Augenblick.«
    Pearce nickte, als sei er mit dieser Antwort zufrieden, und verfolgte das Thema nicht weiter. Ein unbehagliches Schweigen senkte sich über das Abteil, das nur zweimal von Henry, dem fast schon skeletthaft mageren Steward, unterbrochen wurde, der einmal die Gläser nachfüllte und beim zweiten Mal neue Scheite in den Holzofen schob. Deakins Kopf war auf seine Brust gesunken, und er hatte die Augen geschlossen: Entweder hatte er beschlossen, die Umwelt auszusperren oder er war wirklich eingeschlafen, was allerdings ein Wunder gewesen wäre bei einem Mann, der sich unentwegt, ohne die Hände zu Hilfe nehmen zu können, den unberechenbaren Bewegungen des Zuges anpassen mußte, um nicht umzufallen und im Abteil hin und her geschleudert zu werden. Der Zug, der ein vergleichsweise ebenes Gebiet erreicht hatte, fuhr jetzt schneller und schwankte heftig von einer Seite zur anderen. Selbst auf den gutgepolsterten Plüschsitzen wurde das Schaukeln allmählich ausgesprochen ungemütlich.
    Marica wandte sich an den Gouverneur: »Müssen wir denn so schnell fahren, Onkel Charles? Warum denn diese schreckliche Eile?«
    »Weil der Lokomotivführer den Befahl hat, mit höchstmöglichem Tempo zu fahren, Miss Fairchild«, antwortete Claremont anstelle des Gouverneurs. »Und weil es sich hier um einen Truppenersatz-Transport handelt und weil wir bereits zu spät dran sind. Die US-Kavallerie ist nicht gerne unpünktlich, und wir sind schon zwei Tage im Verzug.«
    Die Tür des Abteils wurde geöffnet, und Henry erschien ein drittes Mal und verkündete mit der Miene eines Mannes, der das Leben als unsägliche Last betrachtet: »Gouverneur, Colonel. Das Essen ist serviert.«
    Der Speisesalon war klein und enthielt lediglich zwei Tische für jeweils vier Personen, aber diese Tische und die dazugehörenden Stühle standen in der Qualität der Einrichtung des Tagesabteils in nichts nach. Der Gouverneur, seine Nichte, Claremont und O'Brien saßen an einem Tisch, Pearce, Dr. Molyneux und Reverend Peabody an dem anderen. Auf den Tischen standen einige Flaschen Rot- und Weißwein, und auf irgendeine geheimnisvolle Weise war es Henry
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