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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman
Autoren: Stefanie Zweig
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einfiel. So belebend und verjüngend sie den Trubel und die Kinderstimmen fand, so willkommen waren ihr auch die kleinen Pausen, in denen sie zu den großen Reisen in die Vergangenheit aufbrach. Fritz war in der Kanzlei, auch Erwin war bei der Arbeit, Leon und Alice waren mit Baby in die Stadt gegangen – auf der Suche nach ihrer Jugend. In der Synagoge am Börneplatz, die Max Beckmann gemalt hatte und an die sich in Frankfurt kaum einer erinnern mochte, der sie hatte brennen sehen, hatten sich die beiden kennengelernt.
    Anna hatte Sophie und Lena mit den drei Jungen auf den Spielplatz geschickt. »Gib acht, Sophie, dass den Buben nichts geschieht. Sie können doch kein Deutsch. Es gibt Leute, die so was ausnutzen, und Kinder sind da keine Spur besser als die Erwachsenen.«
    »Der David kann schon den anderen Jungen ihre Klicker abnehmen. Dazu muss man ja nicht reden. Man braucht nur fixe Finger. Und Mut. Ich hab schon einen ganzen Sack Klicker, die ich den Doofis abgenommen habe.«
    »Lass das nur deinen Vater nicht hören.«
    »Warum? Der war doch auch mutig, wenn er auf dem Schwarzmarkt für uns Butter, Schmalz und Schokolade gekauft hat. Der musste sogar mit einem Bein vor der Polizei weglaufen.«
    Obwohl Sophie ein Mädchen und noch nicht mal neun Jahre alt war und David sich weder für Mädchen noch für Spielgefährten interessierte, die jünger waren als er, hatte er sich in Annas kecke Tochter verliebt. Ihre langen blonden Zöpfe erinnerten ihn an die Bilder in Rachels Märchenbüchern. Sophies weiße Kniestrümpfe – im Zopfmuster gestrickt und mit kleinen Bommeln am Knie – imponierten ihm. Noch mehr beeindruckte ihn, dass sie nicht, wie er, mit Blazer, weißem Hemd und Krawatte in die Schule gehen musste und dass sie mittags wieder zu Hause war und bei ihrer Mutter essen durfte. In seinem Reisetagebuch malte der aufmerksame Chronist ein Bild von Sophies Schulranzen und erläuterte: »Wenn deutsche Kinder in die Schule gehen, sehen sie aus wie Soldaten. Sie müssen ihre Schuhe selbst putzen und ihre Schulbücher und Hefte in Zeitungspapier einschlagen. Ihre Buntstifte, den Federhalter und Radiergummi hüten sie, als wären es kostbare Rennpferde.«
    Sophie konnte auf ihren Händen laufen, einen doppelten Salto schlagen, mit ihren Fingern knacken, mit der Zunge ihre Nase ablecken und auf einem Bein rückwärts vom Haus in der Rothschildallee bis zur Günthersburgallee hüpfen; sie ließ sich von keinem etwas gefallen, einen Jungen, der größer war als sie und doppelt so breit, boxte sie zu Boden, als der probierte, Aby von der Schaukel zu stoßen. Wenn jemand ihrer Freundin Lena, die nun ihre Schwester war, einen Tort antat, wurde Sophie zur Furie und schrie so gellend wie die Frauen am Kapstädter Obstmarkt, die sich gegen Diebe wehrten, ehe die die Ware überhaupt anfassten.
    David fiel rasch auf, wie selbstlos Sophie war. Sie teilte Kekse, Bonbons, Äpfel und ihre Schulbanane, sogar Haarklammern und Zopfgummis. Damit ihre Schulfreundinnen ihren Zöpfen den letzten Schliff geben konnten, stibitzte sie bei ihrem Vater Pfeifenreiniger. Nie war die schlagfertige Amazone um eine Antwort verlegen. Sie verstand sich auf die Kunst, ihrem kleinen Bruder eine Kopfnuss zu geben, ohne dass er merkte, woher die Züchtigung kam, und am zweiten Tag des Zuckerman-Besuchs gelang ihr das auch bei Ralfi, der so perplex war, dass er zu heulen vergaß.
    »Ich hätte nie gedacht, dass man mit einem Mädchen lachen kann«, gestand David seinem Vater in einem ihrer Männergespräche.
    »Man kann mit Mädchen noch ganz andere Sachen machen«, wusste der fromme Leon Zuckerman. Zum ersten Mal seit siebzehn Jahren hatte er Ebbelwoi getrunken und nicht mehr in Erinnerung gehabt, wie sehr das Leibgetränk der Frankfurter die Zunge löste.
    Innerhalb von drei Tagen brachte Sophie David mehr Deutsch bei, als er je aus seinem Wörterbuch würde klauben können. David revanchierte sich mit »Sarie Marais«, einem Lied aus dem Burenkrieg, das ihn schon als kleinen Jungen gerührt hatte, und »Keep the Home Fires burning till the Boys come home« aus dem Ersten Weltkrieg. Seine erste Liebe leistete sich indes den Scherz, dass ihr Schützling seiner Großmutter das Frühstücksei aus der Küche holte und dazu »Guten Morgen, liebes Arschloch« sagte.
    Ihrem afrikanischen Galan schenkte Sophie eine große rote Glaskugel. David stellte sich vor, das Prachtstück besitze Zauberkräfte. Dem war auch so. Wenn Sophie den schönen Schlager
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