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Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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jungen Mädel. Hübsch und schick angezogen, Ursel hatte das mit einem Blick heraus. Und der Herr da vor ihr - wo hatte sie den bloß schon gesehen? Er hatte einen Leberfleck an der Schläfe. Ja, richtig - in der Bahn heute morgen, als sie wegen Cäsar mit dem griesgrämigen Herrn den Wortwechsel gehabt hatte. Hoffentlich hatte er sie nicht wiedererkannt. Immer neue Namen - gleichmäßig wie einschläfernde Wellen überschwemmten sie Ursels Denkvermögen. »Hu-ah-hu-u-uh.« durch die Stille klang es in herzbrechendem Gähnen. »Nanu?« Herr Müller schob die Brille zurecht. Lachende Gesichter wandten sich dem Pult zu, wo der blonde Lehrling den Mund so weit aufriß, wie es nur anging. »Hu-ah-« es war ein reiner Krampf, der Ursel befallen hatte. Obgleich sie sich Mühe gab, das ungehörige Gähnen zu unterdrücken, es ließ sich nicht bekämpfen. In allen Tonarten stieß sie ihr »Hu-ah-uh-« aus. Die Heiterkeit war nicht länger zu bändigen. Alles lachte. Sowohl die würdigen, alten Beamten wie die jungen. Auch Ursel lachte mit, sobald ihr der Gähnkrampf die Möglichkeit dazu ließ. Glockenhell klang es durch den Raum, der plötzlich gar nicht mehr so ernsthaft ausschaute. »Fräulein Hartenstein ist die eintönige Bürotätigkeit noch nicht gewöhnt; vielleicht treten Sie mal einen Augenblick ans offene Fenster«, riet einer der jüngeren Herren.
    »Ja, ans offene Fenster!« Ursel hatte ein Gefühl, als ob sie wie ein gefangener Vogel davonfliegen könnte.
    »Essen Sie etwas, Fräulein Hartenstein«, empfahl eine Brünette.
    Ursel tat, was man ihr so freundlich geraten hatte. Sie trat an das geöffnete Fenster und nahm einige Bissen ihres Frühstücksbrotes. In einen kahlen Hof blickte sie, kein Baum, kein Strauch darin. Kaum ein schmaler Sonnenstreif wagte es einzudringen, als sei der Frühling ein für allemal hier ausgesperrt. Puh - gräßlich! Der Gähnkrampf ließ nach, aber Ursels Stimmung hob sich nicht. Unlustig begab sie sich wieder an ihre Schreibereien. Wahre Zuchthausarbeit - sie hatte die größte Lust, die schönen, sauberen Umschläge, die auf sie warteten, alle zu zerknittern.
    »Akkurater, Fräulein Hartenstein, wenn ich bitten darf«, ließ sich da neben ihr Herr Müller vernehmen, der den neuen Lehrling, obwohl er unausgesetzt schrieb, im Auge behielt. »Die Adressen müssen eine gleichmäßige, gut leserliche Schrift aufweisen, wenn ich bitten darf.« Trotz seiner Höflichkeit fühlte Ursel den Tadel des Vorgesetzten heraus. »Besser kann ich nicht schreiben«, kam es ziemlich patzig von den Lippen des blonden Lehrlings zurück. Das wäre ja noch schöner, wenn sie hier noch wie ein Schulkind Schönschrift lernen sollte. Da mochte man sie doch lieber gleich als unbrauchbar wieder heimschicken, dann war ihnen allen geholfen. Ursel machte einen so temperamentvollen Grundstrich, daß die Feder ausspritzte und mehrere Kuverts verdarb. Sie schielte ein wenig schuldbewußt zu Herrn Müller hin. Aber der schrieb - schrieb und rechnete, er nahm scheinbar gar keine Notiz von ihr. Nur langsam verringerte sich der Stoß Briefumschläge. Ursel strengte sich nicht sonderlich an, hatte auch Wichtigeres zu tun, ihre Kollegen und Kolleginnen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und dazwischen Stoßseufzer in die Luft zu senden.
    Elf Uhr - Frühstückspause. Überall erschienen knisternde Päckchen auf der Bildfläche. Man verließ seinen Platz und unterhielt sich ungezwungen. Ursel kam sich als Neuling recht verlassen vor. Da gesellte sich der Herr mit dem Leberfleck zu ihr. »Ich irre mich wohl nicht«, sagte er lächelnd, »wir sind uns heute morgen schon in der Bahn begegnet, nicht wahr?«
    Ursel bejahte lebhaft. Es war ihr jetzt ganz gleich, daß sie sich dort nicht gerade von ihrer besten Seite gezeigt hatte. Sie war froh, daß sich jemand um sie kümmerte.
    »Wo haben Sie denn Ihren vierfüßigen Freund gelassen? Soll der auch Banklehrling werden?«
    »An einem von uns ist es schon mehr als zuviel«, gab Ursel schlagfertig zurück.
    »Obwohl ich glaube, daß er sich immerhin noch besser dazu eignet als ich.«
    »Nun - nun«, meinte der Herr. »An einem Tage ist Rom auch nicht erbaut worden. Sie sehen aus, als ob Sie eine ganz tüchtige Kraft werden können.«
    »Das ist durchaus kein Kompliment für mich - ganz im Gegenteil«, protestierte Ursel.
    »So ungern sind Sie hier eingetreten?« verwunderte sich die brünette junge Dame, sich zu den beiden gesellend. »Ich kann mir kaum eine

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