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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack
Autoren: Christian Stoecker
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Durchsetzung von Steven Levys Regel Nummer drei: »Alle Information soll frei sein.« Anonymous hat auch schon Protestattacken gegen die Websites australischer Politiker organisiert, als in Australien ein Gesetz zur Filterung unliebsamer Internetinhalte verabschiedet werden sollte – während WikiLeaks parallel die Sperrlisten veröffentlichte.
    Das Ziel der Informationsfreiheit verfolgt Anonymous auf radikale Weise. Unter der Flagge »Operation Payback« orchestrierten Aktivisten Attacken auf die Websites der Musik- und Filmbranche, da aus ihrer Sicht diese Organisationen den freien Informationsfluss bedrohen, indem sie mit Massenklagen, Lobbyismus und anderen Methoden versuchen, Tauschbörsen und deren Nutzer zu kriminalisieren und letztere von ihrem Tun abzuhalten. Von den frühen Bulletin Boards der Hacker und Cracker der achtziger Jahre, von den Aktivitäten der »Szene«, der Kopierschutzknacker und ihrer Nutznießer bis hin zu den globalen Netzprotesten des 21. Jahrhunderts lässt sich eine direkte Entwicklungslinie ziehen. Aus diesem sehr speziellen Blickwinkel gehören Napster, WikiLeaks und Wikipedia ebenso zusammen wie der Musikbranchenverband RIAA und staatliche Internetzensoren in aller Welt.
    Nach den Angriffen auf die Finanzierung von WikiLeaks organisierten die über den Globus verstreuten Anonymous-Unterstützer innerhalb kürzester Zeit Denial-of-Service-Attacken gegen Mastercard, Visa, Paypal und andere. Für die Protestaktionen gegen die als rücksichtslos parteiisch wahrgenommenen Finanzdienstleister stellten die technisch versierteren unter den Anonymi den übrigen ein simples Werkzeug zur Verfügung: Die Software mit dem Nerd-Kultur-Namen »Lew Orbit Ion Cannon« (LOIC) erlaubt es, seinen Rechner mit wenigen, einfachen Schritten zum Teil einer Distribuierten Denial-of-Service-Attacke zu machen. Koordiniert wurden die Aktionen vor allem über »Internet Relay Chat«-Kanäle, eine archaische, sehr flexible und schwer zu überwachende Kommunikationsform aus der Frühzeit des Netzes, die auf ad hoc erzeugten Chat-Räumen basiert. Die digitalen Einheimischen machten sich ihre intime Kenntnis der alten Katakomben tief unter dem Hochglanz-WWW des Jahres 2010 zunutze.
    Tausende installierten daraufhin die »Ionenkanone« und trugen so dazu bei, dass die Web-Auftritte von Paypal, Mastercard, Visa und anderen in die Knie gingen. Einigen von ihnen könnte dies zum Verhängnis werden: Die Software ist für sich genommen nicht in der Lage, die IP-Adresse des Angreifers zu verschleiern. Wer also seinen Rechner in den Dienst der DDoS-Attacken stellte, ist relativ einfach zu identifizieren. Bald wurden in den Niederlanden zwei Teenager verhaftet, die an den Angriffen teilgenommen haben sollen, kurz darauf fünf weitere mutmaßliche Anonymous-Unterstützer in England. Ende Januar 2011 wurde bekannt, dass auch die US-Bundespolizei FBI Dutzende Haftbefehle erwirkt hatte, und zwar, wie dem wieder einmal blitzschnell im Netz veröffentlichten Dokument zu entnehmen war, gegen die Mitglieder einer »Internet-Aktivistengruppe, die die Namen ›4Chan‹ und ›Anonymous‹ gebraucht«. Bei 4Chan waren Minuten nach Bekanntwerden der Meldung panische Reaktionen zu lesen. Und hämische Kommentare von jenen, die den digitalen Protest ohnehin immer für eine dumme Idee gehalten hatten.
    Die DDoS-Angriffe waren als Mittel des Protestes von Anfang an umstritten gewesen – auch viele WikiLeaks-Unterstützer verglichen sie mit Akten des Vandalismus. Die besonneneren unter den Anonymi entwickelten schnell andere Strategien. Auf »Operation Payback« folgte kurz darauf »Operation Leakspin« (der Name ist wieder einmal ein Insiderwitz, ein Verweis auf eine Anime-Figur). Ein digitales Flugblatt rief dazu auf, die bei WikiLeaks veröffentlichten Diplomatendepeschen zu lesen, nach Interessantem zu durchforsten, kurze Videos darüber zu veröffentlichen und auf beliebige andere Weise auf die Inhalte der Botschaftskabel hinzuweisen. Die Verhaftungen taten dem Schwung der Protestierenden zunächst keinen Abbruch – schließlich hatte es nur einige wenige von mutmaßlich Tausenden getroffen.
    Der Protest gegen Scientology hatte Anonymous hervorgebracht, die Unterstützung für WikiLeaks der Idee neuen Zulauf und internationale Aufmerksamkeit beschert. Nun begann Anonymous den Blick schweifen zu lassen. Und fand schnell neue lohnende Ziele.
    Schon Mitte Dezember 2010, als die westlichen Mainstreammedien die Vorgänge in Tunesien noch
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