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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim
Autoren: Gesa Schwartz
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Gesteine presst, kann man ihn hören: den Herzschlag der Welt. Die Stadt, aus der ich komme, heißt Bantoryn.«
    Wie ein kalter Windhauch strich das letzte Wort Nando die Haare aus der Stirn. Irrte er sich, oder war das Licht auf einmal dunkler geworden? Er schüttelte den Schauer ab, der ihm über den Rücken kriechen wollte.
    »Und was tust du dann an einem Ort wie diesem hier?«, fragte er und stellte fest, dass er plötzlich heiser war. Er räusperte sich. »Ich meine – an einem Ort für Helden gibt es sicher mehr zu sehen als hier.«
    Da fing die Suppe an zu kochen. Nando tauchte die Kelle ein und füllte etwas in einen tiefen Teller.
    »Ich bin gekommen, um dich dorthin mitzunehmen«, sagte Antonio direkt hinter ihm. Urplötzlich war er vor dem Tresen aufgetaucht. Nando fuhr erschrocken zusammen. Er versuchte noch, den rutschenden Teller mit seiner vernarbten Hand festzuhalten, doch es gelang ihm nicht und er schüttete sich die kochende Suppe über die Finger. Fluchend warf er den Teller ins Spülbecken und hielt seine Hand unter kaltes Wasser.
    »Das soll wohl ein Scherz sein!«, rief er ärgerlich und wusste selbst nicht genau, ob er sich mehr über seinen Schmerz aufregte oder über sich selbst, weil er diesen Verrückten hereingelassen hatte. Das Wasser spülte über seine Hand, bis sie eiskalt war. Schließlich drehte er den Hahn zu und wandte sich um. Er seufzte. Das schlechte Gewissen hatte schon immer leichtes Spiel mit ihm gehabt. »Es tut mir leid«, sagte er ruhiger. »Aber ich hatte einen langen Tag. Und ich habe echt andere Sorgen, als an einen Ort zu reisen, von dem ich noch nie gehört habe.« Er lächelte. »Ich dachte, es sei ein Platz für Helden, und wenn ich eines ganz sicher nicht bin, dann das: ein Held. Was sollte ein Tellerwäscher wie ich dort tun? Geschirr spülen und Suppe kochen für Bedürftige?«
    Antonio sah ihn gedankenverloren an. Er schien den letzten Satz gar nicht gehört zu haben.
    »Du bist etwas Besonderes«, sagte er kaum hörbar. »Mehr, als du ahnst.«
    Nando stieß die Luft aus. »Unsinn«, erwiderte er und wollte noch mehr sagen, doch im nächsten Moment sprang Antonio vor. Mit einem Satz, der zu schnell war, als dass Nando ihn mit den Augen hätte verfolgen können, glitt Antonio über den Tresen, packte ihn mit der linken Hand im Nacken und presste die rechte auf seine Brust, dorthin, wo das Herz war. Erschrocken griff Nando nach Antonios Hand, doch sie hatte sich fest in sein Hemd gekrallt, während sein Nacken wie in einem Schraubstock gefangen war. Eiskalt war diese Hand, und Nando nahm Antonios Duft wahr, eine seltsame Mischung aus brennenden Tannenzweigen und Meerluft, die von dem samtenen Aroma durchzogen wurde, das Nando bereits bei seinem Eintreten wahrgenommen hatte. Noch immer konnte er es nicht deuten, doch es legte sich erneut kühl auf seine Wangen. Er wollte schreien, aber nichts als ein heiseres Krächzen drang aus seiner Kehle.
    »Du bist ein gewöhnlicher Mensch«, raunte Antonio, und nun sah Nando, dass seine Augen nicht schwarz waren, wie es den Anschein gehabt hatte. Diese Augen waren golden, und ihr Anblick war so unwirklich, dass Nando anfing zu zittern. »Du hast eine Familie, du liebst deine Tante, deine Freunde, deinen Krempel, du erledigst deine Arbeit in diesem schäbigen Restaurant und wirst Schule und Ausbildung ohne großes Aufsehen abschließen. Ja … « Er stieß die Luft aus, die in einem eisigen Schwall Nandos Gesicht traf und ihm den Atem nahm. »Auf den ersten Blick gleichst du unzähligen anderen jungen Männern. Aber im Inneren sieht es anders aus. Ganz anders!«
    Nando spürte seinen Herzschlag in der Kehle, er ertrug den Blick in Antonios Augen nicht länger, ebenso wenig wie dessen Worte, die mit eiskalter Glut seinen Rachen hinabstoben und ihn verbrannten. Mit einem Schrei stieß er die rechte Faust vor und traf Antonio an der Schulter. Nando hörte das Knacken seiner Knöchel, doch er fühlte keinen Schmerz. Stattdessen sah er wie in Zeitlupe, wie Antonio rücklings über den Tresen flog und mit voller Wucht inmitten einiger Stühle landete.
    Mit weit aufgerissenen Augen starrte Nando auf seine Hand. Sein Schlag konnte unmöglich so heftig gewesen sein, dass er einen ausgewachsenen Mann quer durch den Raum hätte befördern können. Oder doch? Atemlos sah er zu, wie Antonio auf die Beine kam und sich den Staub von den Kleidern klopfte. Kurz glaubte er, einen erneuten Angriff abwehren zu müssen, aber Antonio hob den
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