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Nemesis 06 - Morgengrauen

Nemesis 06 - Morgengrauen

Titel: Nemesis 06 - Morgengrauen
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Gesichter, von denen ich auf einmal umringt war und deren Augen hinter dünnen Masken verborgen waren.
    Der Schuss ...! Plötzlich kehrten meine Erinnerungen an die letzten bewusst erlebten Sekunden vor meiner Bewusstlosigkeit, die ich für meinen Tod gehalten hatte, zurück. Carl hatte auf mich geschossen. Ob der Dicke mich getroffen hatte? Nein, das war vollkommen ausgeschlossen. Doch nicht Carl! Dazu war er gar nicht in der Lage. Er war einfach zu dumm dazu, und außerdem verfügten seine plumpen, fleischigen Finger wahrscheinlich gar nicht über genügend Kraft und Geschick, den Abzug zu drücken. Das musste ein Alptraum gewesen sein – einer der ganz besonders miserablen Sorte, der auf mein Selbstbewusstsein, mein Ego abzielte. Ganz bestimmt.
    Nein, Carl hatte mich bestimmt nicht niedergeschossen.
    Aber was war dann passiert?
    »Sehen Sie mal, er lächelt«, erklang die Frauenstimme wieder.
    Redete sie über mich? Das war nicht möglich. Ich hatte nicht gelächelt. Selbst wenn ich gewollt hätte und ein Grund dazu bestanden hätte, hätte ich es nicht gekonnt. Ich verfügte nicht einmal über einen Ansatz von Kontrolle über meine Gesichtsmuskeln.
    »Er ist nicht wirklich bei Bewusstsein«, antwortete die Stimme, die nicht wollte, dass man mit ihr diskutierte, trocken. »Sonst würde er nicht lächeln.«
    »Warum haben Sie die Kugel nicht entfernt?«, fragte die Frau, die ich für Ellen hielt.
    Sie sprach nicht über mich. Ich hatte nicht gelächelt, und ich war auch nicht von einer Kugel getroffen worden.
    Vielleicht war ich fast gestorben, aber es musste ein Heldentod gewesen sein, kein dermaßen unrühmlicher Abgang. Vielleicht lag noch jemand vor oder hinter mir?
    Ob ich dem Wirt die Waffe entrissen und ihn seinerseits niedergestreckt hatte? So musste es gewesen sein. Schließlich hatte er auf Judith gezielt – wahrscheinlich hatte ich jegliche Kontrolle über mich verloren. Verzweifelt versuchte ich mich vollständig zu erinnern.
    »Wir sollten ihn nur stabilisieren«, antwortete der Fremde, der angeblich Erfahrung im Betäuben von Elefanten hatte. »Sie haben doch die Computertomographie gesehen.
    Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt mit diesem Tumor. Aber der Professor wünscht noch einmal mit ihm zu sprechen. Wir müssen ihm also nur noch ein paar Stunden verschaffen. Alles andere ist ohnehin vergebliche Liebesmüh.«
    Ein Professor, der mit Carl reden wollte? Machten Politiker Wahlkampf in Fixerstuben? Computertomographie?
    Der Wirt war eine einzige dicke Geschwulst – wo wollte man da anfangen, ihn zu durchleuchten?
    Sie redeten also doch über mich, verdammt noch mal! In meiner Verzweiflung zog ich dergleichen schwachsinnige Gedanken dem Blick auf die Wahrheit vor. Der Wirt hatte mich niedergeschossen, und ich war allein in einem Raum voller Ärzte und Schwestern, die irgendetwas mit mir gemacht hatten, von dem ich mir nicht vorstellen wollte, was es gewesen war. Ich fühlte mich wie im Schlaf von Außerirdischen entführt, in ein Ufo verschleppt und zu irgendwelchen Forschungszwecken an der menschlichen Spezies missbraucht. Aber sicher war das alles nur ein schrecklicher Alptraum, und vielleicht konnte ich eines Tages ein gutes Buch darüber schreiben, wenn ich mich bemühte, den Tatsachen meines Traums jetzt ins Auge zu sehen. Ich hoffte allerdings, dass er möglichst schnell vorüberging.
    Der bittere Geschmack auf meiner Zunge wurde intensiver. Hätte ich Zugriff auf meine Mimik gehabt, hätte ich eine angewiderte Grimasse gezogen. Ich fühlte, wie meine Augenlider nun in rasender Geschwindigkeit noch schwerer wurden, als sie sich bislang ohnehin schon angefühlt hatten, und wie das bisschen Kraft, das ich aufgebracht hatte, um die Augen offen zu halten, zügig von mir wich.
    Die maskierten Gesichter, die sich über mich gebeugt hatten, verschwammen.
    Ich schlitterte von einem Alptraum in den nächsten.
    Ich befand mich am Anfang eines Tunnels, aber ich war nicht allein. Miriam war bei mir. Das zierliche, dunkelhaarige Mädchen hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und blickte mich kopfschüttelnd an.
    »Du darfst nicht mitkommen«, sagte sie und machte eine abwehrende Geste. Aber ich wollte mit ihr gehen, diesen seltsamen Tunnel mit ihr beschreiten. Was auch immer an seinem Ende auf uns wartete, mochte etwas Schreckliches sein, doch nichts war schlimmer für mich, als allein hier zurückzubleiben. Allein, ohne Miriam.
    Mein Blick schweifte an ihr vorbei durch die Dunkelheit des
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