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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
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hellen, klaren Stimme eines Kindes, das die Pubertät noch nicht erreicht hatte. Dennoch klangen ihre Worte härter als alle, die ich in der Realität zuvor von irgendeinem Menschen dieser Welt vernommen hatte. »Du hast uns verraten, Frank! Wir sind sechs! Wir sind etwas Besonderes!« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf das Mädchen Miriam, das sich zitternd an meinen Oberkörper klammerte und ihr aus großen, angstweiten Augen entgegenstarrte. »Dieser Bastard hat hier nichts verloren.« Zu dem gnadenlosen Hass in ihrer Stimme gesellte sich ein Beiklang von Vorwurf, und auch von Ekel.
    »Unreines Blut hat sie. Das sieht man an ihrem schmierigen schwarzen Haar.«
    Noch nie war ich einem so unverhohlen mordlüsternen Blick wie dem ihren begegnet, nie zuvor hatte ich einen so hasserfüllten Klang vernommen, wie der, der Marias Worten innewohnte und ihnen etwas nahezu Körperliches verlieh, so dass jede einzelne ihrer Silben sich beinahe wie eine Klinge durch mein Fleisch zu schneiden vermochte, um mit stählerner Spitze in meine Seele zu dringen. Und dennoch hatte ich Verständnis für sie, für den abgrundtiefen Hass, den sie auf Miriam, vor allen Dingen aber auf mich empfand. Ich hatte etwas getan, das gegen mein Innerstes verstieß, meinen höchsten Werten widersprach, die Regeln gebrochen hatte, die aus einer unerschütterlichen Überzeugung erwachsen waren.
    Ich wusste, dass ich schuldig war.
    Aber ich wusste nicht, was ich getan hatte.
    Miriam klammerte sich mittlerweile so fest an mich, dass mir das Atmen zunehmend Schwierigkeiten bereitete. Dann spuckte die Luke, durch die Maria unter den Nachthimmel zu uns hinausgetreten war, weitere Gestalten aus. Ellen in ihrem eleganten Kostüm, Judith in ihrem durchscheinenden Sommerkleid, Stefan, der verständnislos den Kopf schüttelte, als er an Ellens Seite trat, und Ed, den seine durchtrennte Halsschlagader nicht an einem hässlichen Lächeln zu hindern vermochte.
    » Verräter!« Sie alle sprachen wie im Chor, und sie alle sprachen wie Maria mit hellen Kinderstimmen, die in ihrer Gesamtheit klangen wie ein klares, teuflisches Glockenspiel, das durch die tiefdunkle Nacht hallte. Ich versuchte einen Schritt zurückzuweichen, doch der Zinnenkranz in meinem Rücken gestand mir nicht einen einzigen weiteren Millimeter des Rückzugs mehr ein.
    »Einer wird jetzt gehen.« Wieder hatte sich der Klang von Marias klarer Kinderstimme geändert. Vorwurf und Abscheu waren aus ihr verschwunden, und selbst der Hass hatte der tödlichen Entschlossenheit, mit der sie stattdessen nun sprach, weichen müssen. Langsam hob sie ihre Rechte, in der sie plötzlich eine elegante, verchromte Schusswaffe hielt, und deutete damit auf Miriam.
    Mein Atem stockte, und ein herber Stich durchfuhr mein Herz. Es verweigerte für einen kleinen Augenblick gänzlich seinen Dienst, und als es ihn wieder aufnahm, schlug es nur umso heftiger und schmerzhafter in meiner Brust. Ich spürte, wie Miriam ihren Griff um meinen Brustkorb lockerte. Aus unsagbar traurigen, dunklen Augen blickte sie zu mir auf, und entsetzt stellte ich fest, wie ihre fast qualvolle körperliche Anspannung, unter der ich nach wie vor stand, von ihr wich und einer an Resignation grenzenden Mutlosigkeit Platz machte.
    »Sie werden dich töten«, flüsterte Miriam. Ihre Stimme hätte jedem leibhaftigen Engel zur Ehre gereicht, klang wie ein tragischer Auszug aus einer herzergreifenden, klassischen Symphonie in meinen Ohren. »Du kannst mich nicht mehr retten. Aber ich kann dein Leben retten.«
    Sie wich langsam vor mir zurück und stieg ohne Eile, in einer fast theatralischen Bewegung auf die hohen Zinnen hinauf. Dennoch befand sie sich bereits in gefährlich luftiger Höhe, ehe ich auch nur ansatzweise reagieren konnte. Auf einmal waren meine Arme und Beine wie gefesselt – nein, nicht wie gefesselt: Hauchdünne Fäden waren darum gebunden, die bis weit hinauf in den nacht-schwarzen Himmel reichten und sich irgendwo in der Ferne verloren. Und auch die fünf anderen, die sich mit mir auf dem Plateau befanden, hingen an solchen Fäden wie Marionetten, die nach einem längst festgelegten Theaterstück tanzen mussten. Nur Miriam war frei – scheinbar jedenfalls.
    Mein Blick wanderte entsetzt zu Maria zurück. Auf einmal hielt sie keine Pistole mehr in der Hand, sondern führte selbst eine Marionette, wie auch sie selbst eine war, wie wir alle solche waren, von gewaltiger, dämonischer Hand aus dem unergründlichen, tiefschwarzen Nichts
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