Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde
Autoren:
Vom Netzwerk:
ein bisschen durchzuschütteln. Ich bin gewiss kein gewalttätiger Mensch, aber in diesem Moment wollte ich nichts mehr, als Zerberus zu packen und meine Faust in sein Althippie-Gesicht zu schlagen. Und ich war nicht der Einzige, dem es so erging. Ellen blickte noch immer mit fast gelangweiltem Gesicht zu Stefan und Carl und hatte wieder angefangen, an ihren Händen herumzuschrubben. Judith hatte noch immer die Hand vor den Mund geschlagen, aber ich hatte eher das Gefühl, dass sie sie einfach dort vergessen hatte und dem Schauspiel fast gebannt zusah und auf die Fortsetzung wartete. Selbst Maria wirkte zwar erschrocken, zugleich aber auch auf eine morbide Art fasziniert, die gerade bei ihr besonders unheimlich wirkte. Was ging hier vor? Plötzlich lag Gewalt in der Luft wie etwas Greifbares. Ich ertappte mich dabei, wie ich das Spiel von Stefans beeindruckenden Muskeln nicht nur voller Faszination beobachtete, sondern ihn sogar darum beneidete. Ich konnte mich nur noch mit Mühe zurückhalten, um nicht zu ihm zu eilen und auf Carl einzuschlagen.
    Möglicherweise hätte ich es sogar getan, wäre Maria nicht plötzlich aufgesprungen und hätte einen kleinen, fast kläglichen Schrei ausgestoßen. »Aufhören!«, wimmerte sie. »So ... so hört doch auf!«
    Selbst jetzt fiel es mir schwer, meinen Blick von Stefan und dem hilflos mit den Beinen strampelnden Carl zu lösen, der mittlerweile aufgehört hatte, nach Luft zu ringen. Sein Gesicht lief langsam blau an.
    Maria hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und zitterte am ganzen Leib. In ihren Augen stand das blanke Entsetzen, aber es war dieselbe Art von Entsetzen, die ich selbst spürte: Was sie sah, das erschreckte sie zutiefst, aber noch viel mehr entsetzte sie, was sie gerade gespürt hatte. Ich hatte mir die morbide Faszination in ihren Augen nicht eingebildet.
    Aber ihre Worte brachen den Bann.
    Fassungslos wurde mir klar, was ich gerade gedacht hatte; und ganz offensichtlich nicht nur ich. Auch auf Stefans Gesicht machten Hass und Mordlust einem plötzlichen Ausdruck von schuldbewusster Verwirrung Platz.
    Langsam ließ er die bereits zum Schlag erhobene Faust sinken und stellte Zerberus beinahe behutsam auf die Füße zurück. Carl japste nach Luft, sank an der Wand entlang in die Knie und schlug beide Hände gegen den Hals.
    Ich wechselte einen raschen Blick mit Judith und las in ihren Augen denselben Schrecken, den auch ich empfand. Den wir alle empfanden. Was um alles in der Welt geschah mit uns?
    Stefan sah für einen Moment noch hilfloser aus und begann von einem Fuß auf den anderen zu treten. Dann beugte er sich mit einem Ruck vor, griff nach Carls Hand und zog ihn auf die Füße; ob er wollte oder nicht. »Ich hoffe, wir haben uns verstanden«, sagte er. Die Wut war aus seiner Stimme gewichen, aber sie klang immer noch aggressiv, wenn auch jetzt auf eine vollkommen andere Art. »Und jetzt wüsste ich verdammt noch mal gern, was Sie überhaupt hier machen. Ich denke, Sie wollten zurück ins Dorf?«
    Carl rang noch immer röchelnd nach Luft. Er massierte seinen Hals, aber in dem Blick, mit dem er uns nacheinander maß, lag keine Angst mehr, sondern höchstens so etwas wie Verwirrung und ein stummer Vorwurf. Gleichzeitig brachte er das Kunststück fertig, schon wieder so griesgrämig auszusehen, dass man meinen konnte, alle Last der Welt ruhe auf seinen knochigen Schultern.
    »Was wohl?«, schnappte er. Er versuchte, möglichst selbstbewusst zu klingen, aber das Zittern in seiner Stimme ließ eher ein Nörgeln daraus werden. »Schließlich habe ich den Auftrag, mich um dieses Gemäuer zu kümmern. Sie können Gift darauf nehmen, dass ich lieber unten in meiner Gaststätte wäre.« Er sah sich Beifall heischend um. Als niemand Anstalten machte, aus lauter Dankbarkeit vor ihm auf die Knie zu fallen, fuhr er mit trotzig geschürzter Unterlippe fort: »Stattdessen war ich im Keller und habe versucht, die Stromversorgung in Gang zu bringen – und was ist der Dank?«
    Ich grinste flüchtig. Es fiel mir ziemlich schwer, mir Carl mit seinen zwei linken Händen als eine Art Hausmeister vorzustellen, der an einem so sensiblen Gerät wie einem Stromgenerator herumbastelte; noch dazu, wenn es vermutlich älter war als er selbst.
    »Im Keller?«, hakte Stefan misstrauisch nach.
    »Wo denn sonst? Stellen Sie sich nur vor, irgendjemand ist auf die Idee gekommen, dass der Keller genau der richtige Ort für den Stromgenerator wäre«, antwortete Carl sarkastisch.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher