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Nemesis 02 - Geisterstunde

Nemesis 02 - Geisterstunde

Titel: Nemesis 02 - Geisterstunde
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seinem durchtrainierten Oberkörper herab und gab den Blick frei auf eine Unzahl von hässlichen Kratzern und blutigen Schrammen. Sein rechtes Bein war so stark verdreht, dass alle Sehnen und Bänder darin gerissen sein mussten, und er zog es hinter sich her, so dass es über den Boden schleifte. Aus dem Hosenbein tropfte Blut.
    Mit einem kleinen Aufschrei stürzte Ellen an mir vorbei, wobei sie mich so heftig anrempelte, dass ich zur Seite kippte und gegen Carl prallte. Sie schob Stefan einen Arm unter die Schulter und versuchte ihn zu stützen, während er in die Küche hineintorkelte.
    »Stefan!«, rief sie erschrocken. »Was ist ...
    Verdammt!«
    Im selben Augenblick, in dem ihr der Fluch über die Lippen kam, entdeckte auch ich, was sie zu diesem bewegt hatte: Aus Stefans Rücken ragte der Schaft eines Dolches. Der Napola-Dolch aus dem Keller! MEHR SEIN ALS SCHEINEN, hallte es in meinem Kopf wider.
    Stefan schien nur noch zu sein. Unter seinen vor Angst weit geöffneten Augen lagen tiefe schwarze Ringe, und wahrscheinlich waren es nicht nur die erlittenen Qualen und die Furcht, die er ausgestanden hatte, die seine Haut blass, beinahe weiß erscheinen ließen. Er musste unglaublich viel Blut verloren haben. Auch aus seinen Mundwinkeln rann Blut.
    Ellen führte Stefan langsam zum Küchentisch. Ich ließ endlich die Taschenlampe fallen und half ihr, ihn darauf zu betten. Binnen weniger Sekunden bildete sich eine mächtige Blutlache auf der Tischplatte.
    Stefan hustete Blut, griff nach meinem Handgelenk und hielt es so fest umklammert, dass es schmerzte. Er wollte etwas sagen, brachte aber nur einen würgenden Laut hervor. Ich ließ mich neben ihm in die Hocke sinken und hielt mein Ohr so dicht an seine Lippen, wie es nur möglich war, ohne ihn damit noch mehr am Sprechen zu hindern.
    »Das Messer!«, kreischte Judith hinter mir hysterisch.
    »Zieh doch das Messer heraus!«
    »Dadurch würde die Blutung nur noch schlimmer werden«, entgegnete Ellen sachlich und griff nach Stefans linkem Handgelenk, um nach seinem Puls zu fühlen.
    »Verdammt!«, fluchte sie schließlich erneut.
    Ich hörte, wie Judith wie von Sinnen auf den Tasten ihres Handys herumzuhämmern begann, und sah Stefan an. Seine Augen weiteten sich entsetzt. Zwei, drei Atemzüge lang starrte er mich mit blanker Panik im Blick an, dann drehte er den Kopf zur Seite.
    »Er ist hier«, stieß er mit aller Kraft, die er noch aufbringen konnte, hervor.
    »Was sagst du?«, fragte Ed.
    Stefan versuchte verzweifelt, das Gesagte zu wiederholen, presste aber nur noch unverständliches, gequältes Gestammel hervor. Dann bäumte sich sein Körper ein letztes Mal wie von einem gewaltigen Stromstoß heimgesucht auf.
    »Exitus.« Das Wort aus Ellens Mund klang so kühl und sachlich, dass jedem im Raum spätestens in dieser Sekunde klar werden musste, dass all ihre Überheblichkeit, ihr medizinisches Geschwafel und ihr scheinbar unnahbares, abweisendes Wesen nur Teil einer lächerlichen, dem Selbstschutz dienenden Maskerade sein konnten.
    Stefan war tot. Vielleicht starb in diesem Augenblick auch etwas in ihr, und sie wollte nicht, dass wir sie schreien hörten.
    »Was hat er gesagt?« Eds Stimme klang schrill, er näherte sich dem Rande der Hysterie, den Judith längst erreicht hatte.
    »Er ist hier«, wiederholte ich tonlos.
    »Wer?« Ed maß jeden Einzelnen von uns mit fast panischem Blick. »Wen meint er? Wer ist hier?!«
    »Vielleicht meinte er seinen Mörder«, flüsterte Maria.
    »Wenn ... wenn er wieder zurückkommen konnte, dann ... dann muss es doch einen Weg hinaus geben«, stammelte Ed. »Er ist doch die Mauer hinabgestürzt ... und so, wie er aussieht, ist er bestimmt nicht wieder hochgeklettert. Er muss einen Geheimgang gefunden haben, und er ist zurückgekommen, um uns zu holen ...«
    »Wenn er ein bisschen mehr geredet hätte, würde uns seine Heldentat nutzen.« Ellen biss sich auf die Unterlippe. Sie war kurz davor, die Fassung zu verlieren.
    Ellen. Die unantastbare, unerschütterliche, immerfort über allem und jedem stehende Ärztin. Sie war diejenige, die mit der Situation am besten umgehen zu können glaubte und es tatsächlich von allen am wenigsten konnte. »Hätte sich dieser verdammte Idiot nur ins Dorf geschleppt, um Hilfe zu holen, dann würde er jetzt noch leben!«, entfuhr es ihr.
    »Wenn wir seiner Blutspur folgen, finden wir den geheimen Ausgang«, stellte Maria fest. Die Hysterie hatte zuerst von ihr Besitz ergriffen, aber von ihr auch
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