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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht
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Blick, mit dem er mich maß, als ich ihm mein Fahrtziel nannte, hätte mich warnen müssen.
    Die Fahrt dauerte eine gute Stunde. Crailsfelden war —
    auf der Landkarte — nicht einmal sonderlich weit entfernt, aber nicht einmal sonderlich weit auf einer Landkarte kann das genaue Gegenteil auf der Straße bedeuten, vor allem, wenn der Weg nur ein kurzes Stück über die Autobahn führte, dann ein kaum nennenswert längeres über eine Landstraße und schließlich über Straßen, die diesen Namen nicht wirklich verdienten. Nicht dass ich die Fahrt nicht genoss; sie führte durch eine wirklich malerische Landschaft, und nach dem hektischen Tag, der hinter mir lag, tat es außerordentlich gut, einfach entspannt im gepolsterten Sitz des Mercedes zu lümmeln und der leisen Musik aus dem Autoradio zu lauschen. Der Fahrer war nicht an einer Unterhaltung interessiert, was mir im Moment aber nur recht war, maß mich aber ab und zu mit einem sonderbaren Seitenblick, immer dann, wenn er wahrscheinlich glaubte, ich merke es nicht.
    Auf halber Strecke begann es dunkel zu werden und die nahezu lautlos vorübergleitenden Bäume verwandelten sich in massive schwarze Mauern, die die Straße zu einem unbeleuchteten Tunnel zu machen schienen, der direkt ins Nirgendwo führte.
    Nun, zumindest der Reaktion des Taxifahrers nach zu schließen lag mein Ziel ja auch nicht allzu weit davon entfernt. Und was erwartete ich? Die junge Frau, die mich im Auftrag der Kanzlei Flemming & Sohn ein paar Mal angerufen hatte, hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass Crailsfelden eine abgeschiedene kleine Ortschaft war.
    Der berühmte Ort, an dem sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagten.
    Der Fahrer brach sein beharrliches Schweigen erst, als wir uns unserem Ziel näherten — nicht um mit mir zu reden, sondern um dem Autoradio einen ärgerlichen Blick zuzuwerfen und es dann mit einer geknurrten Bemerkung, die ich lieber nicht verstand, und einer übertrieben kraftvollen Bewegung abzuschalten. Seit ein paar Minuten war der Empfang immer schlechter geworden; jetzt drang nur noch Rauschen aus den Lautsprechern, und die Leuchtanzeigen vollführten einen wahren Veitstanz, als die Elektronik ebenso tapfer wie vergeblich versuchte, einen neuen Sender zu finden.
    »Kaputt?«, fragte ich, nicht weil es mich wirklich interessierte, sondern nur aus reiner Höflichkeit und weil ich das Gefühl hatte, dass er irgendeine Art von Reaktion von mir erwartete.
    »Nein«, antwortete der Taxifahrer und zog eine Grimasse.
    »Das liegt an der Gegend. Ist hier immer so.«
    »Der Radioempfang?«
    »Alles«, erwiderte der Fahrer. »Radio, Fernsehen, Satelliten-TV, GPS, Handys …« Er deutete ein Achselzucken an und schaltete in einen niedrigeren Gang, ehe er weitersprach. »Hier funktioniert so gut wie nichts. Muss wohl so eine Art Superfunkloch sein.«
    Ich warf ihm einen schrägen Blick zu, unterdrückte ein Seufzen und revidierte meine ohnehin höchst vage Vorstellung von Crailsfelden in Gedanken ein weiteres Mal.
    Fuchs und Hase sagten sich hier eindeutig nicht Gute Nacht.
    So weit waren sie noch nicht vorgedrungen.
    Der Wagen quälte sich in einem immer noch viel zu hohen Gang eine Steigung hinauf, folgte einer jähen Straßenbiegung, und die grellen Lichtfinger der voll aufgeblendeten Scheinwerfer stachen für einen Moment ins Leere. Vor uns fiel die Straße in ebenso steilem Winkel wieder ab, wie sie bisher angestiegen war, allerdings nicht mehr in willkürlichen Kehren und Wendungen, sondern so schnurgerade wie mit einem Lineal gezogen. Auch diese Seite des Hanges war mit dichtem Wald bedeckt, der in der fast mondlosen Nacht wie eine einzige kompakte Masse wirkte, aber zumindest hatte man von hier aus einen perfekten Blick auf das gesamte dahinter liegende Tal. Und auf Crailsfelden.
    Was für ein Kaff!
    Das war das Erste, was mir durch den Kopf schoss, als ich den Ort sah, in dem ich die nächsten drei Monate meines Lebens zuzubringen gedachte, um als fünffacher Millionär wie Phönix aus der Asche wieder emporzusteigen. Was für ein Kaff!
    Dabei war im Moment gar nicht viel zu sehen — aber ich hatte plötzlich das ungute Gefühl, dass das weniger an den schlechten Lichtverhältnissen lag, sondern vielmehr daran, dass es einfach nicht viel zu sehen gab.
    Crailsfelden lag in einem nahezu perfekt kreisrunden Talkessel, dessen Hänge von dichtem Wald bestanden waren, so weit man nur sehen konnte. Der Ort selbst konnte kaum mehr als zweieinhalb oder drei Kilometer Durchmesser
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