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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman
Autoren: Michel Birbaek
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Ich sah mich um.
    »Wo ist November?«
    Mor sah mich an. Im selben Moment krachte das Dach der Villa in sich zusammen, und eine riesige Stichflamme schoss in den Nachthimmel. Wir duckten uns und starrten ins Feuer.
    Als der Rettungswagen kam, hob ich die Hand. Der Wagen hielt neben uns, zwei Sanitäter sprangen heraus. Sie beugten sich über Nele. Ich beantwortete ihre Fragen undbehielt Mor im Auge, die entsetzt zum Haus schaute. Tränen liefen über ihre Wangen, während sie sich eine Hand vor den Mund hielt. Die Sanitäter holten die Trage aus dem Wagen. Ein Notarzt traf ein. Ich senkte meinen Kopf und brachte meinen Mund an Neles Ohr.
    »Halt durch, Baby, halt durch.«

    Der Rettungswagen raste durch die Nacht. Ich hielt Neles Hand und fragte mich, welcher Wochentag war. Ich sah aus dem Seitenfenster in den Himmel und versuchte, die Milchstraße zu erkennen. Ich suchte mein Handy, um eine SMS zu schreiben. Ich suchte irgendwas, das noch so war, wie es gewesen war. Etwas, an dem ich mich kurz festhalten konnte.
    Nele lag angeschnallt auf der Trage. Sie schlief. Der Notarzt hatte ihr eine Beruhigungsspritze und eine Sauerstoffmaske verpasst. Ich versuchte nachzudenken, aber jeder Gedanke zerrann mir zwischen den Fingern. Ich versuchte, auf Bulle zu schalten und in Ermittlungsthesen zu versinken – Ehemann bringt Ehefrau im Streit um, Tochter sieht es und verdrängt es, um nicht den Verstand zu verlieren. Und verliert ihn. Oder teilt ihn auf. Oder.
    Ich neigte mich vor und prüfte den Sitz der Sauerstoffmaske. Der Sani warf mir einen Blick zu, sagte aber nichts. In der Ausbildung hatten wir einen Kollegen, der war bei einem Einsatz in ein brennendes Haus gelaufen, weil er ein schreiendes Kind gehört hatte. Nach einer gefühlten Minute kam er mit einer Katze auf dem Arm wieder raus und erholte sich nie wieder von der Rauchvergiftung, die er in dieser Minute erlitten hatte. Die Gefahr, die von Rauch ausging, hing von vielen Faktoren ab: Gasanteil, Rußpartikel, Lufttemperatur. Aber der Notarzt meinte, Nele würde wahrscheinlich keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Ich war mir da nicht mehr so sicher.
    Nach hundert Jahren Fahrt hielt der Rettungswagen endlich. Der Sani sprang raus und öffnete die Hintertüren. Als ich heraussprang, bremste ein Streifenwagen hinter mir. Rokko schnellte aus dem Wagen. Außer ihm war niemand zu sehen.
    »Wo ist Mor?«
    »Kommt mit Mohammed nach.«
    Wir halfen den Sanis mit der Trage. Neles Gesicht wirkte blass und schmal. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
    »Hab keine Angst, alles wird gut.«
    Einer der Sanis klopfte mir auf die Schulter. Rokko lief vor. Als wir die Notaufnahme betraten, wandten sich uns an die hundert Gesichter zu: mehrere Kamerateams und Reporter, Polizisten, eines der Bandenmitglieder und genervtes Krankenhauspersonal. Ein paar Patienten waren auch darunter. »Rechts!«, sagte Rokko.
    Ich half, die Trage auf einen der Behandlungsräume zuzulenken.
    »Hey!«, sagte einer der Sanis.
    »Passt schon«, sagte der andere.
    Hinter uns ging ein Mordsgeschrei los, und bevor wir noch die Tür erreicht hatten, befanden wir uns in einem Blitzlichtgewitter. Ein Fotograf hielt seine Kamera direkt vor Neles Gesicht. Rokko tauchte aus dem Nichts auf, der Fotograf stöhnte und verschwand von der Bildfläche. Rokko warf die Kamera auf die Trage.
    Wir schossen in den Behandlungsraum, ließen die Trage los und drehten uns zur Tür. Rokko trat gegen eine Kameralinse. Ich schlug ein Mikro beiseite und legte einer schicken Frau im Kostüm eine Hand auf die Brust. Sie protestierte lauthals, als ich sie rückwärts durch die Tür schubste. Rokko schlug die Tür zu und baute sich davor auf.
    »Mann!«, sagte er.
    Einer der Sanis nickte mir zu.
    »Gleich kommt ein Arzt.«
    »Danke, Jungs.«
    Die Sanis verschwanden durch eine Nebentür, und wenig später betrat eine Ärztin den Raum durch dieselbe Tür. Sie hatte tiefe Furchen im Gesicht und ein Klemmbrett in der Hand. Als sie uns sah, lächelte sie. Doktor Weinheim. Wir waren mit ihrem Sohn zur Schule gegangen.
    »Rokko, Paul, wusste gar nicht, dass ihr wieder im Außendienst seid.« Sie sah Nele an. »Ist das die Rauchvergiftung?«
    »Nein«, sagte ich heiser, »das ist meine Frau.«
    Sie hob die Hand, trat an die Trage und besah sich Nele.
    »Wieso ist sie bewusstlos?«
    »Sie hatte so etwas wie einen epileptischen Anfall. Vielleicht ausgelöst durch einen Tumor. Kann man sofort ein CT machen?«
    »Epilepsie?«, fragte sie.
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