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Neferets Fluch ( House of Night Novelle )

Neferets Fluch ( House of Night Novelle )

Titel: Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
Autoren: P.C. Cast , Kristin Cast
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umkreisten.
    In jener Nacht verwandelte Vater sich aus einem Mond in eine sengende Sonne.
    Er stolperte in die Vorhalle und rief laut nach Carson. Ich hatte in Mutters Salon dagegen angekämpft, dass mir die schweren Lider zufielen, indem ich mich zum wiederholten Male in Emily Brontës Schauerroman ›Sturmhöhe‹ vertiefte. Beim Klang seiner Stimme legte ich das Buch beiseite und eilte zu ihm. Noch ehe ich ihn sah, wehte mich sein Geruch an. Ich weiß noch, wie ich, bestürzt über die stinkende Woge von Brandy, Schweiß und Zigarren, die Hand über die Nase schlug. Während ich dies niederschreibe, fürchte ich, dass ich diese drei Gerüche für immer mit Männern und mit meinen schlimmsten Albträumen verbinden werde.
    Die Lippen gegen den schweren Gestank seines Atems geschürzt, hastete ich an seine Seite im Glauben, er fühle sich nicht wohl.
    »Vater, bist du krank? Soll ich den Doktor rufen?«
    »Doktor? Nein, nein, nein! Kerngesund. Ich bin kerngesund. Brauche nur etwas Hilfe zu Alices Zimmer. Nicht mehr so jung, wie ich mal war – ach ja. Aber meine Pflicht kann ich noch tun. Die wird schon noch einen Sohn von mir kriegen!« Vater schwankte und legte mir eine schwere Hand auf die Schulter, um sich festzuhalten.
    Taumelnd unter seinem Gewicht führte ich ihn zur Treppe, so besorgt, er könnte krank sein, dass ich kaum begriff, was er sagte. »Ich bin hier. Ich helfe dir«, war alles, was ich wieder und wieder flüsterte. Immer schwerer stützte er sich auf mich, während wir den ersten Stock erreichten und schließlich vor seinem Schlafzimmer anhielten. Er schüttelte mechanisch den Kopf und murmelte: »Das ist nicht ihr Zimmer.«
    »Es ist deines«, sagte ich und wünschte, sein Kammerdiener oder irgendjemand anders würde auftauchen.
    Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, als habe er Mühe, den Blick auf etwas zu richten. Dann ging eine Veränderung über seine schlaffen, betrunkenen Züge. »Alice? Du bist heute Nacht also gewillt, deine prüden Regeln zu brechen und in mein Bett zu kommen?« Heiß und feucht ruhte seine Hand auf meiner Schulter, die nur vom Stoff meines feinen Leinennachthemds bedeckt war.
    »Vater, ich bin es, Emily.«
    »Vater?« Er blinzelte und neigte den Kopf, um mich aus der Nähe zu betrachten. Sein Atem ließ mich beinahe würgen vor Übelkeit. »In der Tat. Emily. Du bist es. Ja, du. Jetzt erkenne ich dich. Du kannst nicht Alice sein, sie ist ja tot.« Noch immer viel zu nahe vor meinem Gesicht, fügte er hinzu: »Du bist zu dünn, aber ja, du hast ihre Augen.« Dann hob er die Hand und nahm eine Strähne meiner dichten kastanienbraunen Haare in die Finger, die sich unter meiner Nachtmütze hervorgestohlen hatte. »Und ihr Haar. Du hast ihr Haar.« Er rieb die Strähne zwischen den Fingern und lallte: »Du musst mehr essen – solltest nicht so dünn sein.«
    Dann brüllte er nach Carson, ließ mein Haar los, stieß mich von sich und stolperte in sein Zimmer.
    Ich hätte mich sofort auf mein eigenes Zimmer begeben sollen, aber eine schreckliche Beklemmung überkam mich, und ich rannte, wohin meine Füße mich trugen. Als ich endlich anhielt, um zu Atem zu kommen, sah ich, dass meine kopflose Flucht mich in den weitläufigen Garten getragen hatte, der sich hinter unserem Haus über mehr als fünf Morgen erstreckte. Dort sank ich auf eine steinerne Bank, verborgen unter den überhängenden Zweigen einer großen Weide, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
    Da geschah etwas Wundersames. Die warme nächtliche Brise schob die Weidenzweige beiseite und blies die Wolken hinweg, und der Mond wurde sichtbar. Auch als schmale Sichel leuchtete er wie reines Silber und schien einen Strahl aus flüssigem Metall genau über dem großen weißen Marmorbrunnen auszugießen, der die Mitte des Gartens bildete. Die Statue, aus deren geöffnetem Maul Wasser sprudelte, stellte den griechischen Gott Zeus als Stier dar, wie er die Jungfrau Europa getäuscht und entführt hatte. Den Brunnen hatte Vater Mutter zur Hochzeit geschenkt, und er war das Herzstück von Mutters weitläufigem Park gewesen, solange ich mich erinnern konnte.
    Vielleicht weil der Brunnen Mutter gehörte, vielleicht auch weil ich dem melodischen Gemurmel des Wassers lauschen wollte, versiegten meine Tränen, während ich ihn betrachtete. Mein Herz schlug wieder langsamer, und mein Atem beruhigte sich. Und selbst als der Mond wieder hinter Wolken verschwand, blieb ich unter dem Baum sitzen, lauschte auf
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