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Nebenwirkungen (German Edition)

Nebenwirkungen (German Edition)

Titel: Nebenwirkungen (German Edition)
Autoren: H. J. Anderegg
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einer Bühne zerschmettert. Die wenigen noch in der Lobby anwesenden Leute erstarrten. Als Robert sich erschreckt umwandte, sah er den blutüberströmten Körper eines Mannes mit ausgebreiteten Armen auf dem Konzertflügel liegen. Zu seiner eigenen Überraschung war Roberts erster Gedanke: warum ist das Instrument nicht zerschmettert ? Der Mann war offensichtlich von großer Höhe auf den Flügel gestürzt und sofort gestorben. Ein Selbstmörder? Der Schock löste sich allmählich und Robert bewegte sich mit anderen unfreiwilligen Zeugen dieses unerhörten Zwischenfalls zögernd auf den Absturzort zu. Er brauchte nicht sehr nahe heranzugehen, um zu sehen, wer hier so spektakulär das Diesseits verlassen hatte. Das lederne Gesicht und die altmodische Kleidung sagten ihm genug. Sein mysteriöser Tischnachbar lebte nicht mehr.
    Aus dem Nichts tauchten ein halbes Dutzend Sicherheitsleute auf, die nun die Gaffer zurück drängten und die Unglücksstelle absperrten. Zwei Hotelangestellte eilten mit Tüchern herbei, um den Toten zuzudecken. In kürzester Zeit war der Flügel mit dem bedeckten Leichnam hinter Stellwänden verschwunden; eine harmlose Baustelle für jeden nicht Eingeweihten. Robert bewunderte die professionelle Routine, mit der dieser tragische Tod einfach aus der glitzernden, geschäftigen Kunstwelt des Luxushotels verdrängt wurde, als wäre nichts geschehen. Weder die Masse der Kongressteilnehmer im Ballsaal, noch die Hotelgäste und Passanten, die erst jetzt das Hotel betraten, hatten die leiseste Ahnung von dieser Tragödie. Nicht mit heulenden Sirenen, sondern unbemerkt von den meisten Anwesenden, waren Polizei- und Krankenwagen vorgefahren. Kurze Zeit später hatte man den Toten diskret abtransportiert. Eine oder zwei Stunden nach dem Schrei würde hier nichts mehr an den Vorfall erinnern. Eine leichte Übung für die Verantwortlichen in diesem Haus, wo sich jedes Jahr durchschnittlich fünf Menschen in den Tod stürzen.
    Robert konnte den Schock allerdings nicht so leicht überwinden. Vielleicht lag es daran, dass er den Toten, wenn auch nur flüchtig, gekannt hatte. Der Fremde schien vor irgendetwas oder jemandem panische Angst gehabt zu haben. Warum aber war er gesprungen? War er verfolgt worden? War er hinunter gestoßen worden? Hatte der weißhaarige Riese etwas damit zu tun? Robert schüttelte den Kopf. Die Sache ging ihn im Grunde gar nichts an. Sollte sich die Polizei damit beschäftigen. Die Podiumsdiskussion hatte er verpasst. Er hatte keine Lust mehr, sich jetzt noch in den Saal zu schleichen. In Gedanken versunken war er ziellos durch die Halle geschlendert und stand unvermittelt wieder in der Nähe des Tischs, an dem er mit dem Fremden gegessen hatte. Sein Blick fiel auf den Stuhl, auf dem der Mann noch vor einer Stunde gesessen hatte. Da sah er sie, unter dem Stuhl: die alte Ledermappe des Fremden. Ohne nachzudenken nahm er die Mappe mit auf sein Zimmer.
Heidelberg
     
    Samantha Herbert wartete ungeduldig mit ihrem Kollegen Kyle Randolph in einem kleinen, kahlen Besprechungszimmer der neuen Universität Heidelberg auf ihren Gesprächspartner vom Institut für Biologie. Sie waren altgediente Journalisten des englischen Magazins ›Life!‹, das wöchentlich über politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen und Trends berichtete. Die Stärke der weit verbreiteten Publikation waren aktuelle Hintergrundberichte und Analysen, die jeweils in hoher Qualität praktisch zeitgleich mit den Neuigkeiten erschienen. Kyle war die Stütze der Redaktion im Ressort Wissenschaft und Technik. Samantha gehörte sozusagen zum Inventar des Blattes. Seit Jahren war sie Mitglied der Chefredaktion und hatte sich mit spitzer Feder auf die gesellschaftlichen Themen spezialisiert. Sie sah es als ihre Aufgabe, auch technische und wissenschaftliche Entwicklungen in ihren gesellschaftlichen Kontext einzuordnen, sie nicht nur in nüchternen Fachartikeln abzuhandeln. Kyle hatte die Besprechung in Heidelberg organisiert, um aus erster Hand Informationen und Anschauungsmaterial für den geplanten Bericht über die Chancen und Risiken der Gentechnik zu erhalten.
    »Hoffentlich lässt uns Professor Wolff nicht hängen«, murmelte Kyle, während er nicht zum ersten Mal seine Notizen durchblätterte. Er hatte die Referate des vor kurzem in Paris durchgeführten Biologen-Kongresses studiert und war auf Professor Dr. Heike Wolff an der Universität Heidelberg gestoßen, deren Team offenbar schon weit
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