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Nebelgrab (German Edition)

Nebelgrab (German Edition)

Titel: Nebelgrab (German Edition)
Autoren: Barbara Klein
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Stadtgeschichte geforscht hatte. Der Archivar kannte sich bestens aus und hatte Adrian in die 50er Jahre gelotst, in der tatsächlich wochenlang ein Mord in den Gazetten gegeistert hatte. Ein Geschichtsprofessor war damals durch eine Gewalttat umgekommen, und der Mann, der zuletzt mit ihm zusammen gesehen worden war, war verdächtigt worden: Hubert Becker aus Süchteln. Der Verdacht konnte nicht erhärtet werden und man hatte die Akte schließlich mangels Beweise geschlossen.
    Das konnte die Geschichte sein, die Konrad Wiedener in seinem Buch verarbeitet hatte. Was wusste er? Wieso sprach er so vermessen von »Aufklärung«, jetzt, Jahrzehnte später? Und wieso war die Geschichte eines ungeklärten Mordes im heutigen Süchteln nahezu unbekannt? Vielleicht war das die Triebfeder dieses Professors gewesen: Vielleicht wollte er ein Stadtkapitel neu aufschlagen.
    Adrians Gedanken purzelten zwischen Karla, Martha, dem Stadtarchiv und seiner verlorenen Rebellion hin und her. Als ihm der Autoschlüssel aus der Hand fiel, zischte er »Scheiße, verfluchte!« in seinen Jackenkragen und fühlte sich damit wieder besser.

Samstagmorgen
    Ungeachtet der Tatsache, dass Regina Meester die Anforderungen ihrer Chefin am liebsten ignorieren würde, kam sie am Samstagmorgen zeitig am Altenheim an, um aufgeschobene Dinge im Büro zu erledigen. Es war nicht ihre Art, Überstunden oder gar Wochenendarbeiten auf sich zu nehmen, aber da sie in der kommenden Woche um einen freien Tag bitten wollte und der nur genehmigt werden würde, wenn die Arbeit es zuließ, musste sie wohl oder übel zwei Stunden ihres Samstages opfern. Sie blickte sich erstaunt um, denn gegenüber parkten ungewöhnlich viele Autos, und einige der Nachbarn sowie Senioren aus dem Stift standen in Grüppchen auf der Straße und unterhielten sich. Regina wusste nicht auf Anhieb einzuschätzen, ob die Gespräche angeregt oder aufgeregt waren. Sie ging näher.
    »Der Professor ist tot«, sagte sie wenig später am Telefon. Sie stand am Fenster ihres Büros, von wo aus sie die Straße einsehen konnte. Die Leute waren immer noch dort und redeten.
»Wir sollten uns beeilen«, sprach sie weiter in den Hörer, als es klopfte und eine der Altenpflegerinnen in der Tür stand.
    Regina verabschiedete ihren Gesprächsteilnehmer hastig mit den Worten »Verlass dich auf mich!« und wandte sich der Mitarbeiterin des Hauses zu.

Der zweite Mord
    Es schien, als hafte der Nebel wie mit Klettverschlüssen an den fast nackten Bäumen, Häusern und Straßenlaternen. Mühsam hielt sich die Dämmerung noch für Momente in Süchtelns Straßen, verharrte scheinbar vor dem Jahrhunderte alten Kirchturm, als begehre sie Einlass in Sankt Clemens, dem stolzen Kirchengebäude, in dem eine Handvoll Gläubige den Rosenkranz betete. Die wenigen Lücken, die der Nebel dem Licht wie zum Hohn gestattete, reichten nicht aus, um etwa Helligkeit zu erzeugen oder gar Heiterkeit zu simulieren. Es war November, und die Menschen waren nicht mehr heiter, sie waren andächtig und still und versuchten den aufkommenden Lärm des vorweihnachtlichen Trubels in den Geschäften zu ignorieren.
    Die Rosenkranzandacht neigte sich dem Ende zu und Hubert Becker, der einzige männliche Teilnehmer, humpelte als Erster auf den Ausgang zu, nicht jedoch, ohne vorher eine Kerze zu entzünden. Er blieb mit geneigtem Haupt ein paar Minuten am Opferstock stehen und sprach ein letztes Gebet für diesen Tag. Ein Gebet für seinen früheren Freund Konrad Wiedener. Am Morgen hatte er von dem Verbrechen gehört. Es hatte geheißen, ein Einbrecher habe den Professor kaltblütig umgebracht. Kaum zu glauben, dass in dieser ruhigen Stadt solche Dinge geschahen.
    Hubert seufzte tief, überlegte kurz, ob Konrads Tod Auswirkungen auf ihn selbst haben könnte, und verbarg seine Unruhe in der Trauer um den Freund. Er blickte auf den flackernden Kerzenschein und ließ dann, bevor er seinen Hut aufsetzte, galant die Damen vorbei, die die letzte halbe Stunde mit ihm in der Kirche verweilt hatten. Es war ein samstägliches Ritual. Er war jeden Samstag beim Rosenkranz und stets stand er als Erster auf, um schließlich als Letzter die Kirche zu verlassen. Und für jede Dame hatte er ein besonderes Lächeln zum Abschied übrig, auch heute. Trotz allem … Das hatte er mit 82 Jahren noch nicht verlernt. Die alten Frauen dankten es ihm mit einem scheuen Glimmern in den teils trüben Augen.
    Hubert trat in den Dunst hinaus und spürte sofort die feinen
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