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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Michael Sontheimer
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Justiz als »Krieg«. Andererseits empörten sich die RAF-Gefangenen, ihre Anwälte, Unterstützer und Verwandten beständig darüber, dass die Haftbedingungen zum Teil nicht den rechtsstaatlichen Regularien entsprachen. Reinhard Pitsch, ein österreichischer Unterstützer der Bewegung 2. Juni, sagte einmal über die »militante Wehleidigkeit« von RAF-Mitgliedern: »Einerseits ruft man den bewaffneten Kampf aus, und dann regt man sich auf, wenn man von Justizbeamten angerempelt wird.« 8

    Ehemalige RAF-Mitglieder, die ihrer Meinung nach für Taten verurteilt wurden, an denen sie nicht beteiligt gewesen waren, könnten eine Wiederaufnahme ihrer Verfahren beantragen. Bislang hat dies noch niemand getan. Keiner von ihnen möchte sich noch einmal auf eine Anklagebank setzen. »Die Justiz ist denkbar ungeeignet, etwas Positives zur Aufarbeitung der Geschichte der RAF beizutragen«, sagt Knut Folkerts.

    Die Anwälte der RAF-Mitglieder protestierten immer wieder gegen diese Konstruktion einer »Kollektivschuld« und die auf ihr basierenden Urteile, aber eine nennenswerte Resonanz in der Öffentlichkeit blieb aus. Nach dem Showdown im Herbst 1977 begann das Interesse der Medien an der RAF zu schwinden. Mit der Verhaftung von Mohnhaupt und Klar und dem Ausbleiben von Anschlägen für zwei Jahre fehlte Stoff für Schlagzeilen. Spätestens seit dem Fall der Mauer hatte Deutschland wesentlich wichtigere Probleme als die RAF. Die Rolle des Feindes im Inneren hatten die Konservativen nun an die Kommunisten in der einstigen DDR weitergegeben. Die RAF wurde zu einem Relikt des Kalten Krieges aus der alten Bundesrepublik.

    Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker im März 1989 zunächst die frühere RAF-Frau Angelika Speitel und dann Verena Becker begnadigte, vermerkten dies nur wenige Zeitungen in Kurzmeldungen. Roman Herzog erließ als Bundespräsident den beiden den nicht verbüßten Teil ihrer Strafen und begnadigte im April 1998 den RAF-Theoretiker Helmut Pohl. Bundespräsident Johannes Rau schließlich setzte die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafen gegen Adelheid Schulz und Rolf Klemens Wagner aus. 9

    Für die Begnadigung von Verena Becker hatte sich Generalbundesanwalt Kurt Rebmann beim Bundespräsidenten eingesetzt. Die einstige »schwarze Braut« musste von ihrer lebenslangen Freiheitsstrafe nur neun Jahre absitzen. Im Vergleich zu den 26 Jahren, die Christian Klar hinter Gittern verbrachte, lohnte sich für Becker die Kooperation mit dem Verfassungsschutz. Darüber hinaus bekam Becker, deren Gespräche mit Verfassungsschützern sich über zwei Jahre hinzogen, ein Honorar von an die 5000 Mark.

    Als Michael Buback im Frühjahr 2007 von den vertraulichen Gesprächen zwischen Becker und den Verfassungsschützern in einer konspirativen Wohnung in Köln erfuhr, beschlich ihn ein Verdacht: Wenn die RAF-Frau offenbar nach ihrer Verhaftung im Mai 1977 von der Bundesanwaltschaft systematisch geschont wurde, hatte sie dann vielleicht schon früher die Seiten gewechselt? Wurde Becker von der Bundesanwaltschaft geschützt und nicht für den Mord an seinem Vater angeklagt, weil sie schon bei der Einstellung des Verfahrens im Jahr 1980 mit dem Verfassungsschutz kooperierte?

    Generalbundesanwalt Kurt Rebmann in seinem Dienstzimmer in Karlsruhe um 1978.

    Michael Buback breitete seine Zweifel und die Ergebnisse seiner Ermittlungen in einem Buch aus. »Der zweite Tod meines Vaters« nannte er es. Damit wurde der Chemieprofessor endgültig zum Alptraum für Generalbundesanwältin Monika Harms und ihre Kollegen. Die Karlsruher Juristen, die sich als Crème de la Crème der deutschen Strafverfolger sehen, als Vertreter der »objektivsten Behörde der Welt«, lassen gewöhnlich jede Kritik an sich abperlen. Doch das konnten sie Buback nicht antun, dessen Vater die Leitung der Behörde mit seinem Leben bezahlt hatte. Sollte man jedenfalls meinen.

    Bei einer Gedenkfeier für die RAF-Opfer traf Michael Buback die Generalbundesanwältin Harms und beklagte sich darüber, dass seine Briefe an sie und ihre Kollegen unbeantwortet geblieben seien. »Mit Ihnen wird doch gesprochen«, antwortete Harms, »Sie sind doch vernommen worden.«

    Michael Buback hat sich große Verdienste um die Aufklärung des Mordes an seinem Vater erworben. Ohne die Hartnäckigkeit, mit der er seine Fragen öffentlich und in Briefen an die Bundesanwaltschaft stellte, hätten die Karlsruher Strafverfolger ihre Ermittlungen wohl bald wieder
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