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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Michael Sontheimer
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unterwegs« gewesen. 4 Er weiß jedoch, dass er auch ohne seine Verurteilung wegen des Bankraubs die Höchststrafe bekommen hätte. Bevor er im März 1972 in Hamburg verhaftet wurde, lieferte er sich eine Schießerei mit Polizisten, an deren Folgen ein Beamter starb und bei der er selbst lebensgefährlich verletzt wurde. Für diesen Polizistenmord allein wäre er ebenfalls zu lebenslang verurteilt worden.

    Der Fall Grashof ist typisch für die juristische Aufarbeitung der RAF-Geschichte. Einerseits ließen sich die Richter von einem starken Willen zur Verurteilung leiten und machten viele, teils eklatante Fehler, andererseits erwischten sie nicht die Falschen. Und die RAF-Mitglieder trugen ihren Teil zu den Fehlurteilen bei. Schon gegenüber der Polizei und den Bundesanwälten machten sie keinerlei Aussagen zur Sache. Auch im Gerichtssaal schwiegen sie über die Details ihrer Aktionen und gaben nur politische Erklärungen ab. »Wir gingen auch davon aus«, sagt Grashof, »dass wir so oder so verurteilt werden würden.«

    Keinerlei Aussagen zur Sache machte auch Monika Berberich, die wie Grashof zu den Gründern der RAF zählte. Die Referendarin des Anwalts Horst Mahler wurde im Juni 1974 in West-Berlin wegen Bankraubes und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ehemalige RAF-Mitglieder erklären hingegen, dass Berberich an dem ihr vorgeworfenen Banküberfall nicht beteiligt war.

    Astrid Proll - wie Berberich und Grashof eine Vertreterin der ersten RAF-Generation - warf die Bundesanwaltschaft versuchten Mord vor. Sie hatte im Februar 1971 in Frankfurt zu Fuß die Flucht ergriffen, nachdem ihr ein Berliner Verfassungsschützer aufgelauert hatte. Der Agent sagte aus, sie habe auf ihn geschossen, was sie bestritt. Es dauerte neun Jahre, bis die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des Mordversuchs fallen ließ.

    Bei der zweiten RAF-Generation baute die Bundesanwaltschaft zunächst Roland Mayer als »Rädelsführer« auf. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte ihn deshalb im Juni 1979 für einen Bankraub, der zwei Wochen nach seiner Verhaftung von anderen Mitgliedern der Gruppe in Wien begangen worden war. 5

    Sieglinde Hofmann verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt im Juni 1982 zu 15 Jahren Freiheitsstrafe für den Mord an Jürgen Ponto. Die ehemalige Medizinstudentin aus Heidelberg bekam nur deshalb nicht lebenslang, weil die französische Regierung die Auslieferung nach ihrer Verhaftung in Paris daran geknüpft hatte, dass sie nicht wegen Mordes angeklagt werden dürfte. Den Frankfurter Richtern reichten dann die Angaben des RAF-Kuriers Hans-Joachim Dellwo, der sich durch seine Aussagen Strafmilderung verschaffte und anschließend unter falschem Namen in Kanada lebte. Der ältere Bruder des RAF-Kaders Karl-Heinz-Dellwo konnte nur bezeugen, dass er Hofmann in der konspirativen Wohnung in Frankfurt gesehen habe, von der aus später das Kommando, das den Bankier entführen sollte, zu dessen Villa aufgebrochen war.

    Die Bundesanwälte fanden erst nach der Verhaftung der Aussteiger in der DDR heraus, dass Hofmann nicht zu dem Kommando gehörte, das Ponto entführen sollte, dafür aber zu dem, das Schleyer entführte und seine vier Begleiter erschoss. Sie bekam dann dafür eine lebenslange Freiheitsstrafe.

    Um sich den schwierigen Nachweis einer unmittelbaren Tatbeteiligung der einzelnen Personen zu ersparen und den Mangel an Zeugenaussagen und Sachbeweisen zu kompensieren, griffen die Bundesanwälte und Richter gerne zur Konstruktion der »Mittäterschaft«. Den Anschlag auf Buback, heißt es in dem Urteil gegen Mohnhaupt und Klar, hätten Mitglieder der RAF »aufgrund eines gemeinsam erarbeiteten Tatplanes in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken vorbereitet und durchgeführt«. Die Richter folgerten daraus: »Die Angeklagten müssen sich jeweils das Handeln ihrer Tatgenossen, das sich in allen Phasen dieser ›Aktion‹ im Rahmen des gemeinsam gefassten und gebilligten Tatplans hielt, als eigenes zurechnen lassen.« 6

    Diese Argumentation unterstützten - absurderweise - die meisten RAF-Gefangenen. Brigitte Mohnhaupt sagte im Sommer 1976 im Verfahren gegen »Andreas Baader und andere« in Stammheim aus: »Die Aktion ist ja ein kollektiver Beschluss. Sie ist vorher durchgesprochen, bestimmt von allen, begriffen von allen.« 7

    Die RAF hatte zum Rechtsstaat stets ein schizophrenes Verhältnis: Einerseits bezeichnete Brigitte Mohnhaupt das Verhältnis zur
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