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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zusammen, als er sie berührte und ihr Haar wieder aus ihrem Gesicht strich. Er konnte kaum etwas erkennen, so dunkel war es. »Wann hast du zum letztenmal etwas gegessen?«
    »Vor drei Tagen. Ich wollte heute nacht wieder in den Garten schleichen und Obst und Gemüse holen. Ich kann von Wasser und rohen Früchten leben. Ich hab's versucht.«
    »Das ist vorbei!« sagte er laut. »Ich koche dir jetzt eine Suppe! Aus der Büchse – Gulaschsuppe mit Nudeln! In zehn Minuten ist sie fertig. Sie braucht nur heiß gemacht zu werden.«
    Natalia gab keine Antwort, aber sie mußte auch in der Dunkelheit wie eine Katze sehen können. Sie ergriff seine Hand, und ehe er sie wegziehen konnte, küßte sie seine Handfläche. Mit einem Ruck befreite er sich.
    »Tu das nie wieder!« sagte er rauh. »Du bist keine Hündin, die einem Herrn die Finger leckt. Wo hast du das gelernt? Du bist eine freie Bürgerin der Sowjetunion, mit allen Rechten! Das werden wir Kassugai beibringen!«
    »In Sibirien, in der Taiga, gibt es nur das Recht des Stärkeren. Und Kassugai ist der stärkste von allen. Er ist ›Verdienter Meister des Volkes‹. Was sind wir dagegen? In den großen Städten, ja, da ist alles anders. Aber wer kümmert sich darum, was in den großen Wäldern geschieht?«
    »Von heute ab – und in deinem Fall – ich, Natalia!«
    »Du? Bist du ein so mächtiger Genosse? Nur weil du Gas in der Erde suchst?«
    »Ich kenne viele Leute, die auch einem Kassugai gefährlich werden können!«
    »Er kennt eine Menge Menschen, die ihn beschützen. Er bezahlt sie mit Brettern, mit schönen, gehobelten Brettern, aus denen man Möbel macht. Ich weiß es, ich habe im Lager gearbeitet. Kassugai ist mächtig!«
    »Warten wir es ab, Natalia.« Er ging zur Tür des Herdes und stieß sie auf. Das Feuer im Herd glühte noch – ein einziges, flackerndes Licht. Das wunderte ihn.
    »Ich habe Holz nachgelegt«, sagte sie leise hinter ihm. »Feuer! Ich habe zwölf Wochen kein Feuer gesehen! Der Rauch hätte mich verraten. Oh, Feuer ist etwas Schönes!«
    Sie ging zu dem Herd, kauerte sich auf den Boden und starrte ins Feuer. Zum erstenmal sah Tassburg ihre Gestalt richtig. Das Haar schillerte mit einem Mahagoniglanz, das Gesicht wirkte darin wie ein länglicher, schmaler weißer Fleck.
    »Gut, wir machen kein Licht«, sagte Michail. »Das Feuer leuchtet genug. Gleich wird es hier köstlich nach Gulasch duften …«
    Er holte neben dem Herd einen Jutesack hervor und suchte zwischen den Büchsen das eingekochte Fleisch mit Nudeln heraus. Er öffnete die Dose, schob einen verbeulten Aluminiumtopf über das Feuer und schüttete das Gulasch hinein.
    Natalia Nikolajewna blickte zu ihm hoch. »Das hätte ich doch machen können«, sagte sie.
    »Du brauchst jetzt nur aufzupassen, daß es nicht anbrennt.«
    »Ich habe zu Hause oft gekocht. Zu Hause …« Sie stand auf, nahm den Holzlöffel und rührte in dem Topf. Das Fleisch begann schon zu brutzeln, die Soße schlug Blasen. »Man muß es mit Wasser verdünnen …«
    »Etwas, nicht viel! Nur damit es nicht am Topfboden ansetzt …«
    Tassburg sah zu, wie sie ein wenig Wasser in den Topf schüttete und beim Umrühren stumm in die Flamme starrte. »Woran denkst du?« fragte er.
    »Wie es weitergehen soll. Du hast mich entdeckt …«
    »Willst du weiter durch die Taiga flüchten? Hier bist du sicher.«
    »Nein! Es ist zu nahe an Mutorej. Kassugai wird auch hierherkommen und mich suchen.«
    »Er wird nicht in dieses Haus kommen, solange ich da bin.«
    »Aber bist du immer da? Du hast deine Arbeit.«
    Sie hat recht, dachte Tassburg. Es könnte vorkommen, daß wir drei oder vier Tage zu den Plätzen in der Taiga fahren, wo nach den geologischen Berechnungen Erdgasvorkommen sein müßten. Dann bauen wir unseren kleinen Probebohrturm auf und warten auf Ergebnisse. In dieser Zeit kann in Satowka viel passieren …
    »Das hier ist ein besonderes Haus«, erklärte er. »Alle im Dorf, selbst der Pope, warten jetzt darauf, daß irgend etwas Grauenhaftes mit mir passiert. Vor hundertfünfzig Jahren hat eine Gräfin es verflucht …«
    »Darum hast du mich immer Gräfin genannt …«
    Tassburg lächelte etwas gequält. Die Minuten im Bett, die bleiche Frau mit dem Messer vor ihm, waren noch nicht vergessen. »Ich habe geglaubt, du seist der Geist dieser Gräfin. Da sieht man wieder, wie beeinflußbar ein Mensch ist! Verrückt!«
    »Sehe ich wie ein Geist aus?« Sie drehte sich vor dem Feuer um sich selbst; ihr langes
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