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Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17

Titel: Nähte im Fleisch - Horror Factory ; 17
Autoren: Bastei Lübbe
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schwappende Urinflasche vor sich hertrug.
    »Entschuldigung. Wie komme ich hier raus?«
    Sie sah ihn missbilligend an. »Wohin raus?«
    »Zu … hm … in den ersten Stock.«
    Sie streckte den Zeigefinger aus. »Dort ist ein Aufzug.«
    Wie die Stockwerkanzeige verriet, war der Fahrstuhl in Bewegung und fuhr aus dem 1. Untergeschoss nach oben. Kai hielt ihn an und betrat die leere Liftkabine. Hinter ihm glitt die Tür zu. Die Wähltaste für Etage 4 leuchtete grün. Dort, im vierten Stock, wartete jemand vor der Aufzugstür, der den Lift gerufen hatte. Und der vielleicht verpetzen konnte, wohin Kai gefahren war, falls sie einander begegneten.
    Also durfte Kai nur bis zur dritten Etage fahren. Er drückte die Taste mit der »3«.
    Wenig später ertönte scheinbar aus dem Off eine weiche, monotone, feminine Stimme.
    »Ebene drei.«
    Der Fahrstuhl hielt an, die Kabinentür glitt auf, und Kai trat hinaus.
    Er blickte sich um. Zu beiden Seiten erstreckte sich ein matt erhellter Klinikflur. Linker Hand war eine Reihe von Schalensitzen aus hellrotem Plastik in der Wand verschraubt, und ein Leuchtschild kündete von WCs.
    Kai verspürte das dringende Bedürfnis, diejenigen Bestandteile der »Re-Animator«-Cocktails, die jetzt seine Blase ausdehnten, zu entsorgen. Außerdem wollte er sich gern den Geschmack von Erbrochenem aus dem Mund spülen.
    Nachdem er sich vor einem Urinal im Stehpinkeln geübt hatte, stand er im Vorraum vor dem Waschbecken, füllte sich den Mund aus der hohlen Hand mit Leitungswasser, gurgelte und spuckte es wieder aus. So lange, bis der Geschmack nach Galle und Magensaft sich halbwegs verflüchtigt hatte. Danach bemühte er sich noch, die letzten Reste des Zombie-Make-ups abzuwaschen. Schließlich drehte er den Wasserhahn zu, zog ein Papierhandtuch aus dem Spender, trocknete sich die Hände ab und warf das feuchte Papierknäuel in den Abfall.
    Er stutzte.
    Gleich darauf griff er in den Abfallkorb und zog ein zerknicktes Taschenbuch heraus. Auf dem Einband stand: Daily Mail. The Big Book of Quick Crosswords. Volume 3.
    Annikas Buch! Sie bestellte die Bände mit den Kreuzworträtseln aus der Daily Mail im Internet, um auf unterhaltsame Weise ihren englischen Vokabelschatz zu verbessern. Kai klappte das Buch auf.
    Die Enttäuschung folgte auf dem Fuß. Das war nicht Annikas Blockschrift. Außerdem pflegte sie ein Kreuzworträtsel nicht schon nach drei gefundenen Begriffen aufzugeben. Er blätterte zurück – und fühlte, wie sein Puls beschleunigte: Weiter vorn war es Annikas Handschrift! Außerdem war der erste Teil eines in die Quadrate buchstabierten Wortes mit fetten Kugelschreiber-Lettern überschrieben. Er erinnerte sich: Annika hatte zusammengerollt auf der Couch gelegen, am Stift genuckelt und laut gefragt:
    »Anderes Wort für ›Movie‹ mit sieben Buchstaben. Endet auf T, U, R, E …«
    »›Picture‹«, hatte er vorgeschlagen.
    »Nein, das hatte ich ja hingeschrieben. Aber jetzt stimmt der zweite Buchstabe nicht mehr …« Drei Sekunden später hatte sie gerufen: »Ich hab’s: › Feature ‹ ! Das passt!«
    Kais Finger zitterten wieder … aber diesmal vor Aufregung. Jetzt besaß er eine eindeutige Spur – den Beweis, dass seine Freundin im Klinikum weilte! Wie war Annikas Buch in diesen Abfallkorb gelangt? Sie musste es verschenkt haben … nein, eher verloren. Jemand hatte es gefunden. Und dieser Jemand hatte sich auf dem stillen Ort am Kreuzworträtsel-Lösen versucht, war nicht weit gekommen und hatte das Buch wieder weggeworfen.
    Offenbar war Annika nicht in der Frauenklinik – wahrscheinlich war sie irgendwo in diesem Trakt. Kai holte sein Handy aus der Hosentasche und wählte erneut Annikas Smartphone an.
*
    Geführt und festgehalten von Schwester Nanita, schlurfte Annika durch Zimmer 11 auf ihr Bett zu. Sie sah, dass die langen Haare ihrer Bettnachbarin sich noch immer wie ein schwarzer Bezug über das Kissen ergossen. Doch war das freigelegte Ohr wieder verschwunden. Annika begriff kaum, was ihre Augen erblickten, so müde war sie.
    Sie sank auf der Bettkante zusammen. »Noch nicht hinlegen«, mahnte Schwester Nanita, »Erst muss ich Ihnen das OP-Hemd anziehen.«
    Annika nahm Nanitas Stimme nur als ein Raunen wahr, das schließlich in ein rhythmisches Schrillen überging. Allmählich erst drang zu ihr durch, dass das Telefon auf ihrem Bettschrank klingelte.
    Diese Erkenntnis verlieh ihr ein letztes Mal die Kraft, gegen die Betäubung aufzubegehren. Sie streckte die Hand nach dem
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