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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)
Autoren: Pascal Mercier
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nickte er.
    Sonntag abend werde er aufgenommen, sagte der Grieche, nachdem er aufgelegt hatte. Jemanden, der besser sei als dieser Arzt, gebe es weit und breit nicht, sagte er.
    Gregorius ging langsam durch die Stadt, vorbei an den vielen Gebäuden und Plätzen, die ihm wichtig gewesen waren. So war es richtig. Er aß, wo er meistens gegessen hatte, und am frühen Nachmittag ging er in das Kino, wo er als Schüler seinen ersten Film gesehen hatte. Der Film langweilte ihn, aber es roch immer noch wie damals, und er blieb bis zum Ende.
    Auf dem Weg nach Hause traf er Natalie Rubin.
    »Eine neue Brille!« sagte sie zur Begrüßung.
    Sie hatten beide keine Ahnung, wie sie sich begegnen sollten. Die Telefongespräche lagen weit zurück und waren nur noch gegenwärtig wie der Nachhall eines Traums.
    Ja, sagte er, es könne gut sein, daß er wieder zurück nach Lissabon fahre. Die Untersuchung? Nein, nein, nur eine harmlose Augensache.
    Sie sei mit dem Persischen ins Stocken geraten, sagte Natalie. Er nickte.
    Ob sie sich an den neuen Lehrer gewöhnt hätten, fragte er zum Schluß.
    Sie lachte. »Ein Langweiler von Gottes Gnaden!«
    Beide drehten sie sich nach ein paar Schritten um und winkten.
    Am Samstag verbrachte Gregorius viele Stunden damit, seine lateinischen, griechischen und hebräischen Bücher in die Hand zu nehmen. Er betrachtete die vielen Randnotizen und die Veränderung, die seine Handschrift über die Jahrzehnte erfahren hatte. Am Ende lag ein kleiner Stoß von Büchern auf dem Tisch, den er in den Handkoffer für die Klinik packte. Dann rief er Florence an und fragte, ob er sie besuchen dürfe.
    Sie hatte eine Totgeburt gehabt und war vor einigen Jahren wegen Krebs operiert worden. Die Krankheit war nicht wiedergekommen. Sie arbeitete als Übersetzerin. Sie war keineswegs so müde und erloschen, wie er neulich gedacht hatte, als er sie hatte nach Hause kommen sehen.
    Er erzählte von den Klöstern in Salamanca.
    »Damals wolltest du nicht«, sagte sie.
    Er nickte. Sie lachten. Von der Klinik erzählte er nichts. Als er nachher auf die Kirchenfeldbrücke zuging, bereute er es.
    Er ging einmal ganz um das dunkle Gymnasium herum. Dabei fiel ihm die hebräische Bibel ein, die im Schreibtisch von Senhor Cortês lag, eingewickelt in seinen Pullover.
    Am Sonntag vormittag rief er João Eça an. Was er denn jetzt heute nachmittag machen solle, sagte Eça, ob er ihm das bitte erklären könne.
    Er gehe heute abend in die Klinik, sagte Gregorius.
    »Muß nichts heißen«, sagte Eça nach einer Pause. »Und wenn – niemand kann Sie dort festhalten.«
    Mittags rief Doxiades an und fragte, ob er zum Schach kommen wolle, er würde ihn danach in die Klinik fahren.
    Ob er immer noch ans Aufhören denke, fragte Gregorius den Griechen nach der ersten Partie. Ja, sagte der Grieche, er denke oft daran. Aber vielleicht gehe es ja vorbei. Im nächsten Monat fahre er erst einmal nach Thessaloniki, er sei mehr als zehn Jahre nicht mehr dort gewesen.
    Die zweite Partie war zu Ende, und es wurde Zeit.
    »Was ist, wenn sie etwas Schlimmes finden?« fragte Gregorius. »Etwas, durch das ich mich verliere?«
    Der Grieche sah ihn an. Es war ein ruhiger und fester Blick.
    »Ich habe einen Rezeptblock«, sagte er.
    Schweigend fuhren sie in der Dämmerung zur Klinik. Das Leben ist nicht das, was wir leben; es ist das, was wir uns vorstellen zu leben , hatte Prado geschrieben.
    Doxiades gab ihm die Hand. »Alles ganz harmlos, wahrscheinlich«, sagte er, »und der Mann ist, wie gesagt, der Beste.«
    Vor dem Eingang der Klinik drehte sich Gregorius um und winkte. Dann ging er hinein. Als sich die Tür hinter ihm schloß, begann es zu regnen.

 
    Über den Autor
     
    Pascal Mercier
     
    Daten, Fakten, Jahreszahlen
     
    Pascal Mercier, 1944 in Bern geboren, lebt in Berlin. Nach Perlmanns Schweigen (1995) und Der Klavierstimmer (1998) wurde sein Roman Nachtzug nach Lissabon (Carl Hanser Verlag 2004) einer der großen Bestseller der vergangenen Jahre und in zahlreiche Sprachen übersetzt. 2007 folgte die Novelle Lea. Pascal Mercier wurde 2006 mit dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis ausgezeichnet und 2007 in Italien mit dem Premio Grinzane Cavour für den besten ausländischen Roman geehrt. 2007 erhielt er die Lichtenberg-Medaille der Universität Göttingen.
    Unter seinem bürgerlichen Namen Peter Bieri veröffentlichte er, ebenfalls bei Hanser, Das Handwerk der Freiheit . Über die Entdeckung des eigenen Willens (2001).
    In Deutschland wurde
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