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Nachtsafari (German Edition)

Nachtsafari (German Edition)

Titel: Nachtsafari (German Edition)
Autoren: Stefanie Gercke
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heute hatte sie nie den Mut gefunden, ihm diese Abtreibung und deren grässliche Folgen zu beichten.
    Doch wenigstens jetzt hatte sie es geschafft, Marcus abzulenken, denn er grinste und deutete auf ihre Stiefel. »Hoffentlich nicht mit Absätzen wie diese, dafür brauchst du eigentlich einen Waffenschein.« Er nahm alle Tüten in eine Hand und legte ihr den freien Arm um die Schultern. »Komm, ich habe Kaffeedurst. Hinterher ist ja noch genügend Zeit, die restlichen Läden leer zu räumen. Oder auch für etwas anderes …« Wieder der funkelnde Blick.
    Froh, diese Klippe mal wieder umschifft zu haben, hakte sie sich bei ihm ein und zog ihn eilig über den Salvatorplatz. Dicke Flocken fielen aus steingrauen Wolken und bedeckten den Schmutz der Stadt mit blendendem Weiß, die Weihnachtsbeleuchtung blinkte wie Millionen Kerzen, Kinderaugen strahlten. Sie fanden einen Platz im Palmengarten, bestellten Luitpoldtorte und Café crème. Silke zog die Liste heraus, die sie bis zu ihrer großen Verlobungsparty nach Silvester noch abzuarbeiten hatten. Sie war längst überfällig, denn noch im Januar sollte die Hochzeit stattfinden.
    Sie schaute hinaus. Draußen hatte starker Wind eingesetzt, der Himmel hing schiefergrau über den Dächern, der Schnee trieb waagerecht als glitzernd weißer Spitzenvorhang an den hohen Fenstern vorbei. Auf einem winterkahlen Baum hockten zwei Rabenkrähen. Schwarz, unheilvoll. Etwas wie eine böse Vorahnung kräuselte die Oberfläche ihres Bewusstseins. Fröstelnd verschränkte sie die Arme.
    »Schön kuschelig hier«, sagte sie laut, als wollte sie jemanden übertönen. »Eigentlich sollten wir im Frühling heiraten. Wir könn ten ein Schiff mieten und über den Starnberger See schippern.«
    Marcus grinste. »Glaub nur nicht, dass ich dich noch so lange frei herumlaufen lassen werde.« Er zog ihren Kopf zu sich und küsste sie im Schutz der hochgehaltenen Speisekarte ausgiebig.
    Silke fing dabei den Blick einer hübschen Dunkelhaarigen vom Nebentisch auf, die Marcus unverhohlen anflirtete. Über seine Schulter sandte sie ihr schweigend eine unmissverständliche Botschaft: Hände weg. Die Frau verzog süffisant die Mundwinkel, senkte aber ihren Blick.
    Marcus stocherte in seiner Torte herum. »Mein Vater hat uns eingeladen, am zweiten Weihnachtstag mit ihm essen zu gehen«, sagte er zusammenhanglos, sah sie dabei nicht an.
    Silke vergaß die Dunkelhaarige, warf die Liste auf den Tisch und überlegte ein paar Sekunden, wie sie am besten formulierte, was sie von dieser Einladung wirklich hielt. Ich lass mir von deinem Vater nicht Weihnachten verderben, hätte sie ihm gerne gesagt. Ich will nicht, dass er wieder versucht, dich kleinzumachen, wie fast jedes Mal, wenn wir ihn besuchen. Ich will nicht, dass du danach für Tage in einem schwarzen See von Schweigen versinkst und unerreichbar für mich bist. Er ist bösartig, und ich will eigent lich, dass du ihn aus deinem, aus unserem Leben verbannst.
    Nach kurzem Nachdenken schluckte sie alles herunter und zwang sich stattdessen zu einem Lächeln. »An und für sich war geplant, dass wir meine Cousine besuchen. Ehrlich gesagt, habe ich versprochen, dass wir kommen. Die Kleinen freuen sich schon wahnsinnig. Du weißt, sie sind völlig vernarrt in dich und werden furchtbar enttäuscht sein, wenn wir nicht erscheinen.«
    Im Geiste machte sie sich eine Notiz, Kathrin sofort anzurufen und ihr wegen der Einladung, die bisher noch gar nicht ausgesprochen worden war, Bescheid zu sagen. Ein Problem würde es nicht geben. Ihre große Cousine, zu der sie erst wieder Kontakt aufgenommen hatte, seitdem sie in München lebte – Kathrin war in Bayern geboren, aufgewachsen und verheiratet und einfach räumlich zu weit vom Norden entfernt –, mochte Marcus sehr gern. »Aber ich kann natürlich wieder absagen, wenn du lieber deinen Vater besuchst.«
    Er reagierte, wie sie erhofft hatte. Spontan schüttelte er den Kopf. »Wir können doch die Kinder nicht enttäuschen«, rief er und blickte sehr zufrieden drein. »Da kann man wohl nichts machen. Dann müssen wir wohl bei Kathrin feiern.«
    Das alles lag mittlerweile rund fünf Wochen zurück. Weihnachten war vorbei, und Marcus, der an diesem Freitag vor Silvester in seiner Firma am Schreibtisch saß, dachte mit einem Lächeln an das Fest bei Kathrin und ihrer großen Familie in deren idyllisch gelegenem Hof östlich des Ammersees. Es war herrlich turbulent gewesen, voller Wärme und Kinderlachen. Kathrin war eine
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