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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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gelautet, als sie gefragt hatte, ob der Mann tot sei. Das waren zehn elektrische Stühle,es roch ja richtig verbrannt. Man bekommt einen gewaltigen Schlag.

    Niemand war auf der Straße. Morgen würde die Geschichte in der Inselzeitung stehen, und von überall her würden sie angefahren kommen, um zu schauen, wo es passiert war. Hier geschah nicht viel, sogar ein Zusammenstoß war schon eine große Nachricht. Plötzlich hob er die Hand und sagte, halt da rechts mal eben an. Er sah Dinge immer früher als sie, daran war sie gewöhnt. Jetzt würde er das Messer oder die kleine Säge holen, die immer im Kofferraum lag für den Fall, daß er ein besonderes Holzstück entdeckte, das er für irgend etwas verwenden konnte. Im Rückspiegel sah sie ihn ein kleines Stück zurückgehen und über den Straßengraben im Wald verschwinden. Er hatte die große Lampe mitgenommen, man konnte den sich bewegenden Lichtschein noch zwischen den Stämmen sehen. Sie stellte die Musik leiser und lauschte dem Geräusch des Regens, das von dem der Scheibenwischer in gleiche Teile geteilt wurde, ticktack, ticktack. Kurz darauf hörte sie ihn rufen. Sie schaltete das Warnblinklicht ein und stieg aus. Er stand vor den Wurzeln eines umgestürzten Baumes und bat sie, ihm kurz mit der Lampe zu leuchten. Im gelben Licht sah die Unterseite des Baums wie der Kopf einer gigantischen Medusa aus, die gewundenen Wurzeln wie riesenhaftes Rastahaar vollerErdklumpen und Steine. Sie hatte das Gefühl, alle diese Tentakel streckten sich nach ihr aus, und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

    Nein, näher ran! Seine Stimme klang streng, wie immer, wenn er konzentriert war. Mit der Hand schlug er einen Teil der rotbraunen Erde ab und begann, an einer der Wurzeln zu sägen, einem bizarren, gewundenen Holzstück, das noch zu leben schien, was natürlich auch so war. Er hielt es hoch ins Licht. Ein merkwürdiger Knick war darin, wie bei jemandem, der auf dem Boden liegt und die Beine angezogen hat. Das sieht aus wie ein Fötus, sagte sie, aber er antwortete nicht. Nur dieser Blick, und sie wußte, sie hatte etwas Falsches gesagt. Schweigend gingen sie zum Auto zurück und legten das Holzstück in den Kofferraum. Er summte und hatte vergessen, die Musik wieder einzuschalten. Eine Zeitlang schaffte sie es, nichts zu sagen, dann aber fragte sie doch.
    Was passiert eigentlich, wenn man vom Blitz getroffen wird? Ist man dann immer sofort tot?
    Nein, nicht immer. Aber man bekommt einen gewaltigen Stromschlag. Der Mensch besteht zu 95% aus Wasser. Also verdampft man im Grunde. Der Widerstand kommt von den Knochen. Er dachte sich das spontan aus.
    Du weißt es ja selber nicht.
    Nein, stimmt, sagte er, aber er war tot. Verbrannt.Sein Gesicht war völlig verkohlt. Wasser leitet, und es hat geregnet.

    Jetzt sagten sie beide nichts mehr. Zu Hause verschwand er in seinem Atelier. Sie hörte, wie er den Wurzelstrunk schrubbte. Am nächsten Morgen sah sie, daß er das Holzstück an den offenen Kamin gelegt hatte. Durch den Knick wirkte es, als hätte es Schmerzen, eine große Kraft hatte es in eine Form gezwängt, die nicht natürlich war. Und doch hatte die Natur das getan.
    Nicht verbrennen, sagte er, trocknen lassen.
    Im Morgenlicht konnte sie erkennen, was für eine Figur es werden würde. Einen Moment lang, als die Frau wieder fotografierte, hatte der Mann sie angesehen. Hellblaue Augen. Es hatte geschienen, als wolle er etwas sagen, aber er hatte es nicht getan. Sie selbst hatte kurz die Hand gehoben und dann zurückgelacht.

    Die Zeitung kaufte sie nicht, um keinen Namen dazu zu haben.

    * Ferdinand Domela Nieuwenhuis (1846-1919) war eine der wichtigsten Figuren der frühen niederländischen Arbeiterbewegung. Herman Gorter, Henriëtte Roland Holst und Frederik van Eeden gehörten der literarischen Bewegung der »Tachtigers« (der »Achtziger«) an, die nach einer revolutionären Erneuerung der niederländischen Literatur strebte.

Heinz
    »What an empty episode!« said Eliza. »It
    seems to have no meaning.«
    »It has none«, said Sir Robert. »So we will
    not give it one. We will not pretend that
    something has happened when nothing has.«
    Ivy Compton-Burnett, The Last and the First

1

    E rst eine glatte Täuschung. Ich sehe mir ein Foto mit mehreren Leuten an, zwischen denen ich selbst stehe. Jetzt muß ich so tun, als würde ich mich und die anderen nicht kennen. Was sehe ich dann? Nein, ich muß die Täuschung verstärken. Wenn ich nach draußen schaue, hier,
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