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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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klarem Ton, fast wie eine Durchsage für Reisende.
    Laß mich in Ruhe oder geh ins Hotel. Ich mache so lange weiter, bis ich einen … Der Rest des Satzes ging in einem Donnerschlag unter, so heftig, daß die Terrasse bebte.
    Den bekommst du jedenfalls nicht drauf, sagte der Mann.

    Beim nächsten Schlag fiel das Licht aus. Nur wenn es blitzte, sah man noch den Zaun aus dicken Ästen, der die Terrasse von dem zum Strand hinunterlaufenden Hang trennte. Den Zaun und dieSchaumkronen, die am Strand zerbarsten. Offenbar versuchte die Frau erneut, ein Foto von der elektrischen Schrift zu machen, die wie ein zersplittertes Alphabet über den gesamten Horizont fuhr, denn sie hörten das schrille Geräusch ihrer Kamera und sahen für einen Moment ein zuckendes rotes Lämpchen. In den paar Sekunden, bis das Neonlicht auf der Terrasse wieder anging, mußte der Mann ihr die Kamera aus der Hand geschlagen haben. Das Ding lag in einer großen Wasserpfütze am Rand der Terrasse. Die Frau schlug ihm ins Gesicht und sagte das Wort noch mal, und diesmal wurde es vom Geräusch des Aluminiumstuhls unterstrichen, der umfiel, als der Mann abrupt aufstand. Das Kognakglas in der Hand, lief er wie ein programmierter Roboter auf die Treppe zu, die zum Strand führte. Der Ober, der, hinter den Fenstern geschützt, auf die Terrasse geschaut hatte, kam heraus, doch der schwarze Mann war schneller und rannte zur Treppe, die der andere langsam hinunterzusteigen begann. Was Rosita nie mehr vergessen sollte, war der schaurige Wechsel zwischen Hell und Dunkel, der den Mann mit dem Glas sichtbar machte und wieder verschwinden ließ, als habe die Dunkelheit ihn geschluckt. Jedesmal, wenn sie ihn sahen, war er, noch immer mit diesem roboterhaften Gang, dem Meer ein Stück näher gekommen.
    Der ersäuft sich jetzt, sagte Rudolf, aber soweit kam es nicht.Als der Blitz ihn traf, schien es für einen Augenblick, als ströme die Elektrizität über ihn hinweg. Flüssige Funken, eine rasend schnelle Linie aus weißem Licht entlang der düsteren Form seines Körpers. Sogar durch den Lärm der Brandung hindurch hörten sie seinen Schrei, ein Geräusch aus zerschmetterten Worten, das im hohen Kreischen der Frau und einem weiteren Donnerschlag unterging. Sie sahen, wie der Ober und der schwarze Mann sich über den verwundenen Körper beugten, ihn aber nicht anzufassen wagten. Das geschah erst viel später, als die Polizei und die Ambulanz mit lauten Sirenen vorfuhren. Während der Vernehmung, bei der die Frau in einem fort leise jammerte, erwähnte niemand den Streit, als hätten sie das so abgesprochen. Erst nachdem die Beamten ihre Adresse und weitere Angaben notiert hatten, durften sie gehen. Durch den Schlamm liefen sie zum Auto. Der Himmel wurde in der Ferne noch immer mit der elektrischen Schrift beschrieben, doch Donner hörten sie nicht mehr, und auch der Wind hatte sich gelegt. Nur der Regen war geblieben, sacht, aber eindringlich.

    Aus der Straße war ein Bach geworden, hier und da mußten sie Ästen ausweichen. Rudolf hatte eine CD eingelegt, Chormusik von Kurtág, die er immer in seinem Atelier hörte. Nicht eben Musik, die Rosita liebte, dünne, hohe Stimmen, die in großeHöhen zu steigen schienen, etwas Heiliges aus dem Raum hinter der geschlossenen Tür, Klänge, die sie ausgrenzten. Doch zugleich wußte sie, wenn diese Musik lief, arbeitete er, diese Stimmen begleiten mich, hatte er einmal gesagt. Sie hatte sich das vorzustellen versucht, wenn die Töne so merkwürdig ausfächerten, als sängen sie bis zum Ende ihres Atems, um dann in stets wiederholten Staccatobewegungen übereinander herzufallen. Manchmal glichen sie auch einer Menge, die irgendwo in der Ferne ein schreckliches Geheimnis besprach, dessen Kern ihr wegen der geschlossenen Tür entging. Jetzt, im Auto, gehörten die Stimmen plötzlich zu dem, was gerade geschehen war. Sie sah wieder, wie die weiße Frau, die auf einmal sehr still geworden war, von zwei Krankenpflegern gestützt zur Ambulanz gebracht wurde und sich dort auf einen kleinen Stuhl neben die menschliche Form unter dem Laken setzte. Erst vor wenigen Stunden hatte sie in diesem Ehepaar ein Spiegelbild gesehen. Sie fröstelte und blickte aus dem rechten Augenwinkel zu dem verschlossenen Gesicht neben ihr. Die Musik glich jetzt einem Kampf zwischen Männern und Frauen, die Frauenstimmen wie Peitschenschläge. Sie erschauerte und dachte daran, daß sie noch nie jemanden hatte sterben sehen. Mausetot, hatte Rudolfs Antwort
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