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Nachts kommen die Fuechse

Nachts kommen die Fuechse

Titel: Nachts kommen die Fuechse
Autoren: Cees Nooteboom
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Fleisch auf Seite drei. Bessere Kreise, keine Bücher, damit ist wohl alles gesagt. Expatriates , aber Patria ist nur zwei Flugstunden entfernt, und die Sprache ist überall, im Gegensatz zum Finanzamt. Molly: ebenfalls eine Sonnenbrille, weißes Gestell. Bei manchen Engländerinnen weiß man genau, man wird nie ihr wahres Gesicht sehen. Tous les Anglais sont fous par nature ou par ton, sagte Chateaubriand aus dem Grab, und das gilt auch für die Frauen.
    Weißen Schal locker umgebunden, hochblondes Haar, Dreivierteljacke aus Tweed. Eine gebeugte alte Frau mit kleinem Hund auf einem Feldweg, als ich sie das letztemal sah. Sie erkannte mich nicht. Hier stehe ich neben ihr, eine frühere Ausgabe meines chamäleonartigen Selbst. Wo jetzt mein Ellbogen auf dem deutschen Tisch liegt, muß meine Frau gestanden haben, um das Foto zu machen, m/w war also w. Wenn ich meiner damaligen Blickrichtung folge, nach den Gesetzen der Perspektive, sehe ich genau, wo ihre Füße sich auf den glatten sandfarbenen Felsen befunden haben müssen. Auch ich habe mir einen Schal locker umgebunden. Über die Zeit hinweg sehe ich noch, welchen, grün mit kleinen schottischen Karos. Auf unserem epischen Weg zwischen Nichts und Nichts lassen wir eine endlose Spur aus Kleidungsstücken zurück. Manchmal habeich Heimweh nach ihnen, allein darum schon sollte man sich alte Fotos nicht zu oft anschauen. Neben mir Philip. Wildlederschuhe, wattierte Jacke, graues Haar, bereits damals, im Wind. Er hat die Kommandostimme seines Vaters, der mir einmal erzählt hat, welche Schlachten ihm im Krieg entgangen waren. Monte Cassino, zuviel Gin und über einen Zelthering gestolpert, El Alamein, zu spät von seinem orderly geweckt worden, Jerusalem, Befehl über ein Frauenregiment. Zusammen mit Heinz makelte Philip mit Land und Häusern. Jetzt von Andrea geschieden wegen der Pferde. Only time for those goddam horses. Out in the morning at six. Never at home . Aber die Geschichte handelt nicht von Philip und Andrea. Sie handelt von Heinz.

3

    Von allen Rängen, die das Außenministerium zu vergeben hat, ist der des Vizehonorarkonsuls vermutlich der niedrigste. Honorar bedeutet unbesoldet und Vize, daß es auch noch jemanden geben könnte, der kein Vize vor seinem Namen stehen hat, doch in Heinz’ Fall traf das nicht zu. Er hatte keinen über sich, und das war nur gut. Eine kleine Hafenstadt in einem Touristengebiet, das von vielen Niederländern besucht wird, muß ein Konsulat haben.Niederländer im Ausland sterben, werden verhaftet, haben einen Autounfall, verlieren ihr Geld oder ihren Paß oder beides, und dann muß der mächtige Arm des Heimatstaates bis über die Grenzen reichen können, um den Unglücklichen beizustehen. Als Gegenleistung darf sich der Honorarkonsul, meist ein ortsansässiger Geschäftsmann, der kaum Niederländisch spricht, das Schild mit dem Wappen des Königreichs an sein Haus hängen, was ihm vor Ort viel Prestige verleiht. Zwei goldene Löwen, die Pranken erhoben, heraldische Zungen in den aufgerissenen Mäulern, sind dem Geschäft dienlich, das meist im selben Gebäude angesiedelt ist. »Je maintiendrai« steht in ebenfalls goldenen Lettern auf diesem ovalen Schild, was von Heinz mit »Ich werde auch weiterhin maintenieren« übersetzt wurde, ein Satz, der zusammen mit der Kenntnis des Französischen aus der Sprache der jüngeren Generationen verschwunden ist. Maitresses , maintenées , alles ausgestorben, ausgetauscht gegen das abgewertete Wort Freundin, was nicht heißen soll, daß Heinz keine hatte. Dafür hatte er seine Sekretärin Sigismonda, die es ihm gelegentlich auch unter seinem Schreibtisch besorgte, eine fröhliche Achtundvierzigjährige, deren Pferdegesicht, wie er es nannte, er rührend fand. Heinz hatte ein aufgeräumtes Naturell, das weder zu seinem ersten noch seinem zweiten Vornamen paßte. Heinz Maximiliaan, das kommt davon, wenn man eine österreichischeMutter hat, sagte er regelmäßig, ich kann noch von Glück sagen, daß mir Adolf erspart blieb.
    Ein weiteres Mal kehre ich zu dem Foto zurück. Aufgeräumtes Naturell, stimmt das wirklich? Und was ist mit dem Melancholiker, und dem Alkoholiker?
    Aber das war es ja gerade, diese unwiderstehliche Kombination, die mich noch immer an ihn denken läßt. Das habe ich auch mit »keine Auflösung« gemeint. Die Auflösung ist schon von vornherein gewiß, denn es gibt keinen Knoten. Ein Alkoholiker trinkt sich zu Tode. Auf dem Grund seiner Seele hauste bei Heinz die
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