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Nachts auf der Hexeninsel (German Edition)

Nachts auf der Hexeninsel (German Edition)

Titel: Nachts auf der Hexeninsel (German Edition)
Autoren: Earl Warren
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Letitia wurde über die Schwelle geschoben.
    Der Raum war achteckig. Über seine Wände, die mit roten und schwarzen Tüchern verkleidet waren, züngelten Flammen hin. Sie gaben keine Wärme ab. Letitia glaubte zunächst, es würde sich um ein echtes, gespenstisches Feuer handeln, und begriff erst allmählich, dass Gaslicht und Lichtreflexe den Flammeneffekt vortäuschten.
    Der Boden des Raumes war mit schwarzen Onyxplatten belegt. Die kuppelartig Decke schien zu glühen. In diesem Glühen sah man Gesichter und Fratzen mal deutlicher, dann wieder undeutlicher hervortreten. Unheimlicher Orgelklang erschallte.
    Ein runder Tisch war zur Seite gerückt. Mehrere Nischen waren durch Vorhänge abgedeckt. Im Hintergrund stand ein hochlehniger Thron auf einem ein Meter hohen Stufensockel. Auf diesem Thron saß die alte Helen in einem Prunkgewand, ein Satanszepter in ihren welken Händen und wie immer mit all ihrem funkelnden, gleißenden Schmuck.
    Der Kopf der mumienhaften Greisin wackelte. Sie winkte mit einem Finger, und man führte Letitia vor ihren Thron. Die Frauen und Männer des Morton-Clans verteilten sich in dem Raum und füllten ihn.
    Letitia wurde immer noch festgehalten.
    Die Orgel verstummte. Stille kehrte ein, in der man das Atmen der Anwesenden und selbst das Rascheln von Kleidern hören konnte.
    Letitia vermisste Fiona unter den Anwesenden. Ann stand neben ihr. Die dunklen, bösartigen Knopfaugen Helens richteten sich auf Letitia.
    »Soso«, sagte Helen dann. »Du wolltest also fliehen. Du hast unseren Tempel entdeckt. Du weißt, wen wir anbeten.«
    »Ja.«
    »Dann will ich dir jetzt erzählen, warum du hergeholt worden bist, Letitia. Wie alt schätzt du mich?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Nun, ich hin 98 Jahre alt – in diesem Leben. Vorher habe ich schon mehrmals gelebt. Mein Geist wandert von einem Körper in den anderen, und immer habe ich den Satan verehrt und bin die Große Mutter des Morton-Clans gewesen. Nun denn, die Zeit ist wieder reif, da mein Körper stirbt. Er ist alt und gebrechlich, seine Kräfte sind verbraucht. Ich muss überwechseln und mich erneuern. Um es kurz zu sagen, ich werde mich deines Körpers bemächtigen und deinen Geist daraus vertreiben, Letitia. Deine Seele aber soll Satan gehören. Du allein besitzt die idealen Voraussetzungen, die ich benötige, um ein neues Leben führen zu können.«
    Letitia zweifelte an ihrem Verstand. Sie hatte von Seelenwanderung gehört, solche Dinge aber immer ins Reich der Phantasie abgetan oder fernöstlichen Kulturkreisen zugeordnet. Sie wollte nicht glauben, was sie da hörte.
    Aber die Mortons glaubten fest daran.
    »Das kann nicht sein«, sagte Letitia.
    »O doch«, erwiderte Ann.
    »Wie soll das vonstatten gehen?«
    Die alte Helen sank auf ihrem Thron in sich zusammen. Das Reden hatte sie angestrengt. Nur noch Bosheit und teuflische Energie erhielten sie überhaupt am Leben.
    »Es gelingt. Seit 250 Jahren ist es immer wieder gelungen«, sagte Ann. »Verlass dich darauf. Mit unseren magischen Tränken und der Kraft unseres Herrn findet der Übergang statt. Es ist eine hohe Auszeichnung, was dir bevorsteht, Letitia. Unser Meister wird dich in sich aufnehmen.«
    Letitia schrie laut auf. Es war zu entsetzlich, was sie da hörte. Plötzlich glaubte sie, dass es möglich war, was Helen sagte.
    Mit Hypnose, Zaubertränken, und allerhand Mitteln würde man ihr zusetzen, bis ihr Geist ihren Körper verließ. Ob der Körper dann sterben, als seelenlose Hülle weiterleben oder tatsächlich Helen Mortons schwarze Seele und ihren Geist aufnehmen würde, war für Letitia zweitrangig.
    Sie war jedenfalls verloren, wenn es den Mortons gelang, ihren Plan auszuführen.
    »Nein!«, schrie Letitia. »Nein, nein, nein! Das dürft ihr nicht. Was habe ich euch denn getan, dass ihr mir das zufügen wollt?«
    »Satan braucht dich!«, fauchte Ann. »Wimmere nicht, erweise dich würdig!«
    »Ich will nicht!«
    »Satan ist stärker.«
    Man hielt Letitia mit eisernen Griffen fest. Ein Stuhl wurde hereingebracht, Letitia daraufgesetzt und daran festgebunden, bis sie nur noch den Kopf zu bewegen vermochte.
    »Wir fangen Jetzt an!«, sagte die alte Helen. »Beginnt!«
    Die Orgel setzte wieder ein. Letitia konnte nicht erkennen, wo sie gespielt wurde, sie klang jedenfalls in den achteckigen Raum, der Letitia wie eine Vorkammer der Hölle anmutete. Die Flammeneffekte an den Wänden züngelten stärker. Dann ertönte ein Zischen wie von hundert Schlangen. Der erste Vorhang vor
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