Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies
Autoren: Bennett Ben
Vom Netzwerk:
dichter, schwarzer Nebel.
    »Das ist dein schlechtes Gewissen«, hatte Patrice diagnostiziert, der nebenbei auch noch der ortsansässige Psychologe war – auch wenn er niemals Psychologie studiert hatte.
    Mittlerweile bereute Jacques es, dass er Ellis Wunsch missachtet hatte, wenn auch nicht mit böser Absicht. Aber nun war es zu spät, und er würde sie ganz sicher nicht exhumieren und nachträglich verbrennen lassen, wie es Patrice und Gustave eines Abends vorgeschlagen hatten, als es mal wieder besonders schlimm um ihn stand und er nach einer Flasche Calvados Rotz und Wasser heulte.
    »Jacques?« Es war Gustaves Stimme, die ihn abrupt aus seinen Erinnerungen riss.
    »Was denn?«, hörte Jacques sich selbst gereizt erwidern.
    Es klang ziemlich unwirsch, so als hätte Gustave ihn aus einer wichtigen Besprechung geholt. Einer Besprechung mit Elli. Jacques brauchte einen Moment, um wieder zu sich zu kommen. Manchmal schwebte sein Geist einfach davon, und es dauerte ein Weilchen, bis er wieder festen Boden unter seinen Füßen verspürte.
    »Ob du wieder den Asche-Traum hattest, wollte ich wissen.« Gustave musterte ihn mit prüfendem Blick. So als müsse er sich dringend vergewissern, ob sein Freund noch bei klarem Verstand war.
    »Nein«, erwiderte Jacques mit einem verträumten Blick aus dem Fenster im ersten Stock, das hinaus auf den kleinen Marktplatz ging. »Es war nicht der Asche-Traum. Ich bin … ach, egal.«
    Gustave bot ihm einen der altmodischen, aber bequemen dunkelbraunen Ledersessel an, die vor seinem Schreibtisch standen. Er selbst setzte sich in den zweiten direkt daneben, so dass sie wie Freunde zusammensaßen und nicht wie Anwalt und Klient, getrennt durch eine teure Schreibtischplatte aus Mahagoni.
    »Es gibt einen Interessenten für das Paris «, sagte Gustave und zog dabei unschlüssig die Augenbrauen hoch, als wäre er sich noch nicht im Klaren darüber, ob diese Nachricht nun eine gute oder eine schlechte sei.
    »Ich verkaufe nicht«, antwortete Jacques wie aus der Pistole geschossen. Ein Kommentar, der keinen Widerspruch duldete und ein für alle Mal klarstellen durfte, wie er Nachrichten dieser Art einordnete.
    Gustaves Stirn legte sich in tiefe Falten, so dass er ein wenig aussah wie ein französischer Verwandter der Shar-Pei – dieser putzigen chinesischen Faltenhunde, die derzeit in Mode waren.
    »Wenn du nicht verkaufen willst, solltest du dich alsbald mit dem Gedanken anfreunden, dass du das Paris verschenken wirst«, gab Gustave zu bedenken. »Und zwar an den Meistbietenden – bei der Zwangsversteigerung. Ich dachte, es wäre unser Ziel, das um jeden Preis zu verhindern?«
    Jacques murmelte unzufrieden etwas in seinen nicht vorhandenen Bart; etwas, das nicht einmal er selbst verstand. Er war am Ende – und er wusste es. Die Tatsache dämmerte ihm bereits seit einiger Zeit. Natürlich war es sein Ziel, das Paris nicht zu verschenken. Aber das Lokal stattdessen zu verkaufen ?Nein, es musste noch eine dritte Möglichkeit geben, Himmel noch mal!
    »Möchtest du?«
    Gustave fuhr mit der Hand auf den Schreibtisch und reichte Jacques das Glasschälchen mit den Mon Chéri, während er sich gleichzeitig selbst bediente. Vor Jahren hatte ein ebenso weiser wie unnachgiebiger Arzt – Patrice – ihn vor die Wahl gestellt: Lebertransplantation in naher Zukunft – oder ein langes, wenn auch deutlich weniger erfülltes Leben ohne Alkohol. Nach einer heißen Diskussion bei einer letzten Flasche Rotwein hatten sie sich schließlich darauf geeinigt, Gustave wenigstens ein kleines Trostpflaster zu lassen. Menschen, die mit dem Rauchen aufhörten, bekamen unterstützend Nikotinpflaster. Man musste sich eben etwas einfallen lassen. Die glücklichsten Erdbewohner – kleine Kinder – führten schließlich auch ein Leben ohne Drinks. Was man dazu brauchte, war eben ihre unendliche Phantasie, ihre unbändige Energie und ihren unbedingten Willen, jede Minute des Lebens mit beglückender Aktion zu füllen.
    Sowohl Gustave als auch Jacques wussten, dass sie selbst einmal solche Kinder gewesen waren: kleine, glückliche Erdbewohner. Nur der Weg dorthin zurück schien ihnen für immer verbaut – von dem Leben, das bereits hinter ihnen lag und das Kinder nicht kannten, von den Schlössern aus Erinnerungen, die sie sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte gebaut hatten, und von der Wirkung des Rebensafts. Letzterer hatte die in Stein gemeißelten Erinnerungen in all ihren prächtigen Farben davor bewahrt, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher