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Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Angélique Mundt
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führten an der Wand entlang in die hintere Ecke zur Dusche.
    »Mein Gott …« Sie schreckte zurück und wäre fast über Gabriele Henke gefallen. Ihr Gehirn versuchte zu verarbeiten, was ihre Augen bereits sahen. An dem Duschkopf, der aus der Wand ragte, hing Isabell Drost an einem Seidenschal und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Der Schal hatte sich tief in den Hals geschnitten und der Kopf hing unnatürlich zur Seite geknickt. Die Zungenspitze quoll aus dem Mund. Im grellen Licht schimmerte das Nachthemd der Patientin makellos weiß. Die Haut an den Füßen hatte bläuliche Flecken. Auf der Badematte lagen Handtücher, Shampooflaschen und Make-up. Hier müsste mal jemand aufräumen, schoss es Mathilde durch den Kopf. Sie nestelte nach ihrem Pieper am Hosenbund und musste mehrmals blinzeln, bevor sie die Tasten erkennen konnte. Sie drückte 66-2, den Code für Lebensgefahr und die Stationsnummer. Tessa Ravens war heute Nacht die diensthabende Ärztin. Sie würde keine Zeit verlieren.
    Dennoch durfte sie nicht auf sie warten. Sie riss sich zusammen. Entschlossen schlang Mathilde ihre Arme um den leblosen Körper. Er fühlte sich kühl an. Schlaff. Die dünnen Schenkel an sich gepresst, versuchte sie Isabell Drost anzuheben. Der Seidenschal! Wie sollte sie ihn lösen?
    Sie schwankte unter dem Gewicht. »Helfen Sie mir«, stöhnte sie, das Gesicht im Nachthemd der Patientin verborgen. Hinter ihr rührte sich nichts. Mathilde drehte mühsam den Kopf und schrie: »Kommen Sie endlich.«
    »Sie ist tot, oder?«
    »Ich kann sie nicht mehr lange halten.« Mathilde keuchte vor Anstrengung. »Los, jetzt!«, schrie sie verzweifelt.
    Endlich machte Gabriele Henke Anstalten, sich an der Wand hochzuschieben.
    »Wir müssen sie hier runterholen.« Mathildes Arme erlahmten.
    *
    Tessa schreckte aus dem Schlaf, als der Pieper losging. Sie tastete auf dem Nachtschränkchen danach und hätte beinahe die Lampe umgerissen. Der Code für Lebensgefahr blinkte. Sie war sofort hellwach. Zur Sicherheit schaute sie noch mal auf das Display. Lebensgefahr? Sie griff nach ihrer Hose. Kämpfte mit der Gürtelschnalle. Wo waren die Schuhe? Schnell reinschlüpfen. Mit Kittel und Schlüssel in der Hand stürzte sie aus dem Zimmer und hastete den Flur hinunter. Im Laufen ging sie gedanklich die ersten Notfallmaßnahmen durch. Kreislauf stabilisieren. Blutungen stoppen. Vielleicht ein epileptischer Anfall? Station 2, ihre Station. Mathilde hatte Dienst – sie war doch ein alter Hase. Herzstillstand? Asthmaanfall? War der Notfallkoffer schon vor Ort, oder musste sie ihn aus dem Versorgungsraum holen? Sie nahm die Treppe. Wenn der alte Fahrstuhl stecken bliebe – eine Katastrophe. Sie tastete in der Kitteltasche nach ihrem kleinen Ratgeber für Notfallmedizin. Er war da. Sie riss die Tür zur Station 2 auf, blieb stehen und versuchte ruhiger zu atmen. Keine Panik. Die Station lag still und friedlich da. Eine der Zimmertüren stand offen. Da musste es sein. Tessa machte sich auf einen blutigen Anblick gefasst. Wie bei dem Pulsaderschnitt im letzten Jahr. Der Patient war verblutet, bevor sie ihn gefunden hatten.
    Als sie in das Zimmer kam, hörte sie Mathilde im Badezimmer stöhnen. Die Nachtschwester kniete neben einem leblosen Körper im Nachthemd und beatmete ihn.
    »Was ist passiert?«
    Mathilde hob den Kopf. »Suizidversuch. Sie hing in der Dusche.«
    »Ich übernehme. Verständige das Reanimationsteam. Cito.« Erstmals, seit sie in der Klinik arbeitete, gab Tessa Cito, den Code für Lebensgefahr, an die Anästhesisten aus. Hoffentlich war es nicht zu spät.
    Sie drängelte sich an Mathilde vorbei, trat eine Shampooflasche zur Seite und kniete sich hin. Mit ausgestreckten Armen versuchte sie, Leben in den reglosen Körper zu pumpen. 18 … 19 … 20 … zehn noch. Jetzt Luft in die Nase. Sie tastete am Hals der jungen Frau. Kein Lebenszeichen. Sie machte weiter. Den Sauerstoffweg zum Gehirn aufrechterhalten. Pumpen um jeden Preis. Nicht nachdenken. Weitermachen.
    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie spürte, wie jemand in das kleine Badezimmer kam. Der Anästhesist. Gott sei Dank. Das schnelle, kräftige Drücken auf den Brustkorb kostete Kraft.
    »Adrenalin, schnell … sie reagiert nicht«, presste Tessa unter Anstrengung hervor.
    Der Anästhesist suchte nach dem Puls der Frau und leuchtete in die Augen. Tessa pumpte. »Suizidversuch. Strangulation. Wiederbelebungsmaßnahmen seit … ewig … kein Karotispuls, keine
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