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Nachruf auf eine Rose

Titel: Nachruf auf eine Rose
Autoren: Elizabeth Fenwick
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Seite des Hofes; bis dorthin waren es höchstens fünfzehn Meter. Wenn sie ungesehen nach unten käme, dann hätte sie gute Chancen, es bis zum Auto zu schaffen und von den Stallungen aus über den Waldweg zu entkommen.
    Sie stieß das kleine Fenster auf, durch das man auf die Feuerleiter gelangte, und kletterte hinaus in die kühle Dunkelheit. Ihr nackter Fuß ertastete kühles Metall, und ihre Zehen schlossen sich um eine Sprosse. Sie befand sich gut zwölf Meter über dem Boden, doch die Mauern von Wainwright Hall schützten sie vor dem Wind, der in starken Böen von Westen her wehte.
    Geschickt wie eine Katze nahm sie mehrere Sprossen auf einmal, bis sie nur noch einen Meter über dem Küchendach hing. Sie setzte gerade zum Sprung an, als sie erstarrt innehielt. Ein einzelner Beamter, vom flackernden Licht einer Taschenlampe begleitet, trat aus der Küchentür und schlug den Weg in Richtung der Stallungen ein. Ihr Wagen stand in einer Garage gegenüber dem großen Torbogen, durch den man in den Küchengarten und weiter in den Wald gelangte.
    Ihre bloßen Füße berührten rauen Asphalt. Leichtfüßig huschte sie über das Dach. Von hier aus waren es noch etwa drei Meter bis hinunter auf die kiesbestreute Auffahrt. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, sprang sie zuversichtlich hinunter und landete, fast ohne ein Geräusch zu verursachen, in der Hocke, wo sie einen Augenblick lang regungslos verharrte. Sie war wieder das Kind, das sich in den frühen Morgenstunden aus dem Haus schlich, um beim Nachbarn Milch und alles andere, was er leichtsinnigerweise hatte herumliegen lassen, zu stehlen.
    Die freie Fläche, die sich zwischen der Küche und den Stallungen erstreckte, lag verlassen da, und obgleich der Mond hinter einer dicken Wolke verschwunden war, schien aus den Fenstern von Wainwright Hall so viel Licht, dass der kiesbestreute Innenhof wie ein aus gelben, grauen und schwarzen Mosaiksteinen zusammengesetztes Bild wirkte. Sie hatte keine andere Wahl: Sie musste hinüberrennen, auch auf die Gefahr hin, entdeckt zu werden. Das unstete Licht der Taschenlampe näherte sich unaufhaltsam der Stelle, an der ihr Wagen stand, und sie hatte einfach keine Zeit mehr, sich vorsichtig heranzutasten. Sie wartete auf den Moment, als der Beamte von einem Gebäude zum anderen wechselte. Dann rannte sie los. Das Licht der Flammen huschte über ihren bloßen Rücken und blähte sich in ihrem sich aufbauschenden Rock, und für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als sei ein steinerner Kobold für eine Nacht zum Leben erweckt worden.
     
    So gut es ging, verdrängte Nightingale den Gedanken an Bess und Fenwick, doch in der Ferne hörte sie das Heulen von Sirenen und roch den Rauch, der aus dem Hauptgebäude drang. Sie hatte Mühe, in der pechschwarzen Düsternis der einzelnen Gebäude die Orientierung zu bewahren. Eine dichte Wolkenwand wurde von Westen her über den Himmel gejagt und verdunkelte den Mond und die Sterne.
    Hinter ihr lag Wainwright Hall, und sie befand sich offensichtlich in den Stallungen, in denen jedoch schon lange keine Pferde mehr (gehalten wurden. Es passte ihr gar nicht, so weit abseits des Geschehens zu sein, doch sie wusste, dass sie dort keine große Hilfe wäre, und ihr unerschütterliches Pflichtbewusstsein hielt sie davon ab, etwas anderes als ihren Job zu machen.
    Das Geräusch von Fehlzündungen durchdrang die Stille; darauf das Dröhnen eines Motors. Nightingale rannte nach draußen und stieß gegen einen ausgedienten Hufkratzer; sie ignorierte den scharfen Schmerz. Sie musste die Geräuschquelle finden. Plötzlich stand sie da, im hellen Licht von Scheinwerfern, die sie blendeten. Sie tappte vorwärts, erkannte ein blasses Gesicht hinter dem Steuer, bevor die Fahrerin den ersten Gang einlegte und der Wagen vorwärts schoss. Nightingale machte einen Satz nach rechts, um dem Fahrzeug, das genau auf sie zuhielt, auszuweichen. Sie spürte, wie ihre Füße auf dem matschigen Untergrund den Halt verloren und sie in die Knie ging. Der Kotflügel des Wagens erfasste ihre Schulter, und sie wurde rückwärts gegen die Mauer geschleudert. Reflexartig streckte sie die Hand aus, um den Sturz abzufangen. Bevor ihr Kopf gegen die Ziegelwand prallte, hörte sie noch das hässliche Geräusch von brechenden Knochen. Hinter ihren Augenlidern zuckte ein grelles, weißes Licht auf, bevor sie kurz darauf in einem schwarzen Nichts versank.
     
    Ein Wagen kam die Auffahrt herauf. Glücklich und erleichtert sah
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