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Nachdenken ueber Christa T.

Nachdenken ueber Christa T.

Titel: Nachdenken ueber Christa T.
Autoren: Christa Wolf
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Vorhangstoffe zeigte, das neue Geschirr und die bunten Plastebehälter für die Küche, die ihr besonders gut gefielen.Ihr Schlafzimmer war mit Körben und Koffern vollgestellt, wir setzten uns auf den Fußboden und schichteten all das neue Zeug um uns herum auf. Sie wollte ganz neu anfangen, nichts Altes sollte in das neue Haus mitgenommen werden.
    Am Nachmittag sahen wir es zum erstenmal, das Haus. Still vor Erwartung bogen wir von der Chaussee auf den Landweg ab, holperten durch das Dorf – schlechteste LPG im Kreis, sagte Justus – und arbeiteten uns auch noch das miserable Stück den Hügel hinauf.
    Da stand es dann, nackt und roh, sehr einsam unter dem großen wolkenreichen Himmel, und kleiner, als es in unserer Vorstellung gewesen war. Es kam uns unterstützungsbedürftig vor in seinem Kampf gegen den großen, bewegten See und den dunklen Himmel. Wir sahen, daß es tapfer Posten bezogen hatte, aber auch, daß die Natur sich widersetzte, doch wir verloren kein Wort darüber. Wir stiegen über das rohe Brett, das da noch anstatt der Schwelle lag, ins Innere, gingen langsam durch die unteren dielenlosen Räume und kletterten auf einer Notleiter in den ersten Stock, zu den Schlafzimmern der Kinder. Ein mächtiger Wind blies durch alle Ritzen. Dein Wind ist genauso, wie du ihn beschrieben hast, sagten wir zu Christa T. und ließen offen, ob wir alles andere auch genauso fänden. Aber sie war gar nicht zu erschüttern. Sie wußte ganz gut, daß dieses rohe, winddurchpfiffene Haus weiter von seiner Vollendung entfernt war als das Traumhaus an jenem glücklichen Abend auf den Skizzen im Strandhotel, das weiß und schön auf dem Papier dagelegen hatte. Aber sie hatte auch erfahren, daß das wirkliche Material sich stärker widersetzt als Papier und daß man die Dinge, solangesie im Werden sind, unerschütterlich vorwärtstreiben muß. Wir sahen, daß sie längst nicht mehr auf ihren Skizzen bestand, sondern auf diesen rohen Steinen. Wir standen um den kalten Kamin herum und berieten über eine passende Einfassung, wir stritten über Stile und Steinsorten und zweifelten im stillen, wie man kurz vor dem Ende immer besonders stark zweifelt, ob wir je ein Gericht essen würden, das in der Küche dieses Hauses zubereitet war.
    Aber unsere Zweifel waren kleinmütig, und wir haben das Gericht gegessen. Sieben Monate später, Ende Juli, saßen wir alle um den großen runden Tisch. Durch die Fenster trat der glatte, sonnenblanke See fast ins Zimmer, die Tür zum Rasenplatz stand offen, die Spitzen der schlanken Pappelruten glitzerten, und von der Küche her kam Christa T., schwerfällig und stark geworden, mit einer großen Schüssel Kräuterkartoffeln.
    Das war einer von den Augenblicken, in denen man den Neid der Götter fürchtet, aber ich bot ihnen insgeheim einen Tausch an: Sie sollten den Schrecken bei unserer Ankunft nehmen, sie sollten sich damit zufriedengeben, nicht rachsüchtig sein, ihre Zerstörungswut zügeln. Es genug sein lassen mit dem, was sie schon erreicht hatten.
    Ich weiß nicht, ob sie meinem Gesicht etwas ansehen konnte. Als wir einen Augenblick allein waren, sagte sie, wie um mir zuvorzukommen: Ich bin älter geworden.
    Ich überging die Frage in dem Satz, antwortete ausweichend und dachte bei mir, »älter« sei nicht das Wort – obwohl man auch hätte von Älterwerden sprechen können, wenn die Veränderungen, die mit ihr vorgegangenwaren, sich sieben Jahre Zeit genommen hätten und nicht nur das Nichts von sieben Monaten. Ihr Gesicht war gedunsen, die Haut war rauh und schuppig geworden, und die Adern an Armen und Beinen traten stark hervor.
    Ich schob alles auf die Schwangerschaft, aber sie schüttelte den Kopf. Sie nannte den Namen des Medikaments, merkwürdigerweise weiß ich ihn noch, aber er soll hier nicht stehen. Prednison, sagte sie, in großen Dosen. Das war das einzige Mittel. Dafür muß man anderes in Kauf nehmen.
    Sie meinte, was sie sagte, und wußte, was sie meinte. Wir anderen waren durch den Nichtbesitz einer bestimmten Erfahrung von ihr getrennt, man könnte sagen: hinter ihr zurückgeblieben. Einer Erfahrung, die man nur selber machen kann, die man nicht nachempfinden und an der man auf keine Weise Anteil gewinnen kann. Wir wußten, daß unsere Verlegenheit so unangemessen war wie unser Schuldbewußtsein. Wie aber soll man angemessen auf Todeserfahrung reagieren?
    Wir versuchten vergebens, sie zurückzuhalten, als wir baden gingen. Sie ließ ihren Bademantel am Ufer fallen und
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