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Nach dir die Sintflut

Nach dir die Sintflut

Titel: Nach dir die Sintflut
Autoren: Andrew Kaufman
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aussahen wie frisch mit dem Lockenstab behandelt. Sie schlossen Lisa aus und sich zu einer Clique zusammen, und Lisa beschlich der Verdacht, allein zu diesem Zweck eingeladen worden zu sein.
    Lisa hatte sich wirklich mit Ruth anfreunden wollen, Ruths Freundinnen hingegen fand sie kindisch und langweilig. Sie war verletzt, aber nicht gebrochen. Während die anderen versuchten, trotz der Verschlüsselung Filme im Kabelfernsehen zu schauen, zog Lisa sich an, packte ihre Sachen zusammen und ging nach Hause. Sie fühlte sich wie eine Siegerin, war jedoch ziemlich überrascht, in ihrem Elternhaus eine Massenansammlung von Teenagern vorzufinden. Nun stand sie in dem Durchgang zwischen Wohnzimmer und Küche und zeigte mit dem Finger auf Derrick Miller, von dem sie nur Schlechtes gehört hatte.
    »Was tust du hier in meinem Haus?«, fragte sie, dann trat sie einen Schritt vor und entdeckte ihre Schwester. Rebecca starrte zu Boden, und augenblicklich fühlte Lisa ihre Scham. Ohne irgendjemanden in der Küche zu beachten, marschierte Lisa durch den Raum.
    Rebecca hörte, wie die Kellertür sich öffnete und wieder schloss. Sie hörte, wie Lisa die Treppe hinunterstieg. Alle lachten. Derrick Miller lachte noch, als alle anderen längst aufgehört hatten. Gerade, als die Wodkaflasche wieder bei ihm angekommen war, gingen alle Lichter im Haus aus, und der Plattenspieler verstummte mit einem schlürfenden Geräusch.
    Rebecca trat einen Schritt zurück, lehnte sich an die Küchenwand und presste sich die leeren Bierflaschen an die Brust. Sie versuchte, sich ganz klein zu machen. Sie wollte unsichtbar sein. Sie konzentrierte sich darauf, nichts mehr zu denken.
    »Was ist los?«, fragte irgendjemand.
    »Keine Ahnung.«

    »Wie öde.«
    Die Kühlschranktür wurde geöffnet, Flaschen klirrten im Dunkeln. Die Küche leerte sich. Die Haustür ging auf. Fünf Minuten später war das ganze Haus still und leer. Rebecca hörte ein Klicken aus dem Keller. Die Lichter gingen wieder an. Der Plattenspieler setzte sich in Bewegung. Rebecca konnte nicht fassen, wie laut die Musik war.
    Sie stellte die Bierflaschen auf den Küchentisch. Sie nahm die Wodkaflasche, zog das Etikett ab, steckte es ein und ging ins Wohnzimmer, um die Stereoanlage auszuschalten. Als sie wieder in die Küche kam, stand Lisa mit einer leeren Bierkiste neben dem Tisch.
    Sie machte sich daran, die Flaschen einzusammeln. Rebecca half ihr dabei. Lisa weigerte sich immer noch, ihre Schwester anzusehen. Rebecca sammelte Kronkorken und Kaffeebecher ein, die als Aschenbecher gedient hatten. Sie fegte Glasscherben zusammen. Die Mädchen rissen alle Fenster auf und füllten einen orangefarbenen Plastikeimer mit Seifenlauge. Sie rieben die Flecken aus dem Teppich, vom Sofatisch und von dem Linoleum in der Küche. Sie hängten das heruntergefallene Bild wieder auf. Sie wuschen die Bettlaken der Eltern. Sie bezogen das Bett neu. All das erledigten sie, ohne ein Wort oder einen Blick zu wechseln.
    Um vier Uhr morgens waren sie fertig. Seite an Seite standen sie am Fuß der Treppe, und Rebecca starrte auf den Teppichboden. Lisa hob die Hand und packte Rebeccas Kinn. Sie drückte Rebeccas Gesicht zusammen. Rebecca erschrak über die aggressive Geste der Schwester. Lisas Fingernägel bohrten sich tief in ihre Wangen.
    »Weißt du, du musst dir nicht alles gefallen lassen, nur um gemocht zu werden«, sagte Lisa.
    Rebecca war sprachlos. Sie hatte damit gerechnet, von ihrer
kleinen Schwester erpresst oder wenigstens lächerlich gemacht zu werden. Sie biss sich auf die Unterlippe und zuckte die Achseln.
    »Versprich mir, dass du nie wieder so etwas Bescheuertes machst.«
    Rebecca sagte nichts, aber sie wurde knallrot und schwitzte ihre Scham aus jeder einzelnen Pore aus.
    »Okay«, sagte Lisa. Sie hielt Rebeccas Gesicht noch einen Augenblick lang fest, dann ließ sie los und ging schlafen. Sie sagte den Eltern kein Wort. Rebecca öffnete die Augen und sah den schmutzigen Linoleumboden des Kirchenkellers.
    »Rebecca? Rebecca?«, hörte sie. Sie drehte den Kopf und war kurz überrascht, Stewart nicht neben sich zu sehen. Sie senkte den Blick und entdeckte das Handy. Das erklärte, warum Stewarts Stimme so dünn und verzerrt klang.
    »Ich bin hier.«
    »Und?«
    »Ja, das wird klappen«, sagte Rebecca. Die Derrick-Miller-Erinnerung ließ sie eine unendliche Liebe und Achtung vor Lisa empfinden. Sie erinnerte sie daran, wie glücklich sie gewesen war, Lisa zu kennen, wie glücklich, ihre ältere
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