Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Nach dem Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Nach dem Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Farris Smith
Vom Netzwerk:
eingestuft bis zu dem Tag, an dem die Stürme abflauten. Aber niemand wusste, ob dieser Tag jemals kommen würde.
    Die Gegend südlich der Linie wurde sich selbst überlassen und verwandelte sich in eine ungezähmte wilde Region, fremdartig und unbekannt. Die Tiere bewegten sich dort ohne Furcht. Massen von roten und grauen Eichhörnchen breiteten sich aus, die Vogelschwärme wuchsen an. Rotwild graste auf den Mittelstreifen der Autobahnen. Horden von Waschbären und Opossums lebten in den Garagen, bis sie weggefegt wurden, und suchten sich dann einen anderen Unterschlupf, der ihnen gefiel. Geißblatthecken wucherten, und Azaleen breiteten sich unaufhaltsam aus wegen der wärmeren Temperaturen im Frühling. Der zitronenartige Duft von Magnolien hing in der Luft wie schweres Parfüm.
    Kudzu-Pflanzen legten sich wie ein dichter grüner Teppich über alles, bedeckten Straßen, Brücken und Geleise, krochen über Mauern und Dächer und rankten sich um Schornsteine. Scheunen und Wohnhäuser wurden unter der grünen Masse begraben, die sich auch über Parkplätzen ausbreitete, sich um Baumstämme wickelte und Straßenschilder unsichtbar machte. Die ständigen Überflutungen mit nachfolgenden Phasen der Austrocknung wie auch die starken Temperaturschwankungen brachten den Asphalt auf Parkplätzen und Straßen zum Bersten, und in den breiten Rissen nisteten sich Ratten und abgemagerte Hunde ein. Breite Strandflächen an der Küste waren verschwunden, als wären sie mit einem riesigen Löffel ausgehoben worden. Übrig blieben flache, lagunenartige Buchten an Stellen, wo früher die Urlauber im warmen Sand gesessen, kaltes Bier getrunken und Shrimps verzehrt hatten, die in mit Eis gefüllten Silberschalen serviert wurden.
    Dies war Cohens Welt, durch die er nun vorsichtig seinen Jeep lenkte, während um ihn herum nichts als Regen und Verfall zu sehen waren.
    Er erreichte die Kreuzung, wo der Highway auf die Interstate traf. Am Straßenrand standen ein Junge und ein Mädchen im Teenageralter. Ein dünner weißer Junge mit nassen Haaren, die an seinem Kopf klebten, und ein dunkelhäutiges Mädchen mit langen schwarzen Haaren, das eine Baseballmütze trug. Der Junge hatte eine Jacke an, auf seiner Brust waren die Buchstaben LB zu lesen, das Mädchen trug einen viel zu langen braunen Mantel, der über den Boden schleifte. Sie waren völlig durchnässt. Sie hatte den Arm um seine Schultern gelegt und humpelte voran, während er sie stützte. Cohen lenkte den Jeep auf die andere Straßenseite und schaute zu, wie sie vorbeigingen, aber er bremste nicht ab, als der Junge ihm etwas zurief. He! oder Hilfe! oder Anhalten! Er konnte es nicht verstehen. Im Spiegel sah er, wie sie sich umdrehten und zusahen, wie er davonfuhr. Der Junge hob eine Hand und machte ein Zeichen, dass Cohen zurückkommen sollte.
    Er setzte seinen Weg über die zerborstenen Überreste des Highway 90 fort. Er fuhr langsam. Ein Schild wies darauf hin, dass es noch fünf Meilen bis Gulfport waren. Die einst stark befahrene Autobahn war nun mit Sand und Treibholz bedeckt und lag viel näher am Ufer als früher. Die Vorkriegshäuser, die einst den Highway säumten, waren lange verschwunden. Die Ersten waren vom frühesten und schwersten Sturm zerstört worden, die zerbrochenen Überreste der Jachthäfen trieben im Wasser herum wie kaputtes Spielzeug. Der Anleger, auf dem er einst gestanden hatte – im schwarzen Anzug neben Elisa im weißen Kleid, die einen weißen Blumenstrauß in den Händen hielt –, war nur noch eine Ansammlung abgeknickter Pfosten, die nutzlos aus dem Wasser ragten. Einige Laternenpfähle standen noch aufrecht, manche schräg, andere lagen auf der Fahrbahn. Er fuhr mit dem Jeep darüber, als wären es herumliegende Baumstämme. Er warf einen Blick auf den Strand und bemerkte Reifenspuren im nassen Sand. Er griff nach der Schrotflinte auf dem Beifahrersitz und legte sie sich auf den Schoß.
    Ein paar Meilen weiter entdeckte er das, worauf er gehofft hatte. Trotz des Regens war der Truck gekommen und stand am Rand der Interstate auf einem Parkplatz neben den verkohlten Überresten des Grand Casino, die immer noch da waren, wenn auch völlig zerstört. Von den Fenstern liefen schwarze Schmutzlinien nach unten über die orangefarbene Fassade. Das Dach war verschwunden, und die Böden hingen durch. Vor der Hecktür des Lastwagens hatte sich eine kleine Gruppe von Menschen zusammengefunden. Manche zogen die Köpfe ein oder hatten sich die Jacken über
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher