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Nach all diesen Jahren

Nach all diesen Jahren

Titel: Nach all diesen Jahren
Autoren: Cathy Williams
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dazu. Aber jetzt sah Sarah ihn an, mit diesen großen unschuldigen Kinderaugen … und wartete auf eine Antwort.
    „Ich doch auch nicht! Ich wollte einfach nur noch etwas erleben, etwas Sinnvolles tun, bevor ich anfange zu studieren. Das weißt du doch! Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich nicht vorhatte …“ Sie brach abrupt ab. Beinahe hätte sie gesagt: Dass ich nicht vorhatte, mich zu verlieben. Aber eine warnende Stimme hielt sie zurück. Raoul hatte ihr nie gesagt, dass er sie liebte. Das schloss sie einfach aus seinen Gesten und der Art, wie er sie ansah. Wie er mit ihr lachte, wenn sie etwas Lustiges sagte oder ihn aufzog. „Ich meine, dass ich im Traum nicht daran gedacht habe, hier jemanden kennenzulernen. Unverhofft kommt eben oft, wie man so schön sagt.“
    Vielleicht, dachte Raoul skeptisch. Aber nicht in meinem Leben. Hinter ihm lag eine Kindheit, die ausschließlich aus unverhofft eingetretenen Ereignissen bestand – und eins davon schlimmer als das andere. Hätte er eine Liste erstellen müssen, was es absolut zu vermeiden gab, würde der Punkt „Das Unerwartete“ diese anführen. In einem jedoch musste er Sarah recht geben: Ihre Begegnung wirkte wirklich wie eine Fügung des Schicksals. Er nahm sie in die Arme und suchte nach den richtigen Worten. Wie konnte er ihr verständlich machen – ohne sie zu verletzen –, dass jetzt jeder sein eigenes Leben leben musste?
    „Ich hätte es nicht tun sollen, Sarah.“
    „Was hättest du nicht tun sollen?“
    „Du weißt schon … mich auf dich einlassen.“
    „Wie kannst du so etwas sagen! Das klingt, als ob alles ein riesengroßer Fehler war. Wir hatten doch so viel Spaß!“ Ihre Stimme klang verzagt.
    Raoul nahm ihre Hand und küsste die Fingerspitzen – Finger für Finger, bis sich wieder dieses strahlende Lächeln auf ihrem Gesicht zeigte, das ihn sofort angezogen hatte.
    „Natürlich hatten wir viel Spaß.“ Er holte tief Luft, denn er wusste, dass er ihr gleich sehr wehtun würde. „Aber dies hier, das ist nicht die Realität! Es ist eine Ausnahmesituation. Das hast du doch selbst gesagt. Jetzt müssen wir ins wirkliche Leben zurückkehren. Auf dich wartet die Universität und auf mich …“ Er zögerte. Eigentlich hätte er sagen müssen: Auf mich wartet die ganze Welt. „… ein Job“, fuhr er fort. „Ich hatte so gehofft, dass uns dieses Gespräch erspart bleibt. Ich wünschte, du könntest die Situation sehen wie ich. Die Zeit zusammen war toll, aber es ist eben eine Urlaubsaffäre.“
    „Eine Urlaubsaffäre?“ Sarahs Stimme klang ganz klein.
    Seufzend fuhr er sich mit den Händen durchs Haar. Diese Mähne muss ab, sobald ich wieder in der Zivilisation bin, dachte er.
    „Bitte, Sarah. Das klingt ja, als ob ich ein Monster wäre. Ich gebe zu, die Zeit mit dir war einfach unglaublich. Es waren die schönsten drei Monate in meinem ganzen Leben.“ Er brach ab. Normalerweise sprach er nicht über seine Vergangenheit. Schon gar nicht mit einer Frau. Aber jetzt verspürte er einen unwiderstehlichen Impuls weiterzureden. „Du hast Gefühle in mir ausgelöst … unglaubliche Gefühle. Aber das weißt du sicherlich.“
    „Woher denn? Du hast ja nie darüber geredet?“ Trotzdem weckten seine Worte eine leise Hoffnung in ihr.
    „Ich … ich bin einfach nicht gut in … in Situationen wie dieser, wo es um hochdramatische Gefühle geht. Ich hatte genug Dramen in meinem Leben …“
    „Was meinst du damit?“ Sarah kannte gerade mal ein paar Eckdaten aus seinem Leben. Er hingegen wusste alles über ihres. Sie hatte ihm ihre Kindheit in den buntesten Farben geschildert – ihre selbstverständlich „glückliche“ Kindheit. Ihre Eltern hatten die Hoffnung auf Kinder schon aufgegeben, als ihre Mutter doch noch schwanger wurde – mit einundvierzig.
    Raoul hingegen bemühte sich, das Thema Kindheit völlig zu vermeiden. Er beschränkte sich auf die Mitteilung, dass er keine Eltern hatte. Ansonsten sprach er ausschließlich über die Zukunft – was ihr sehr entgegenkam, so wie sich die Geschichte zwischen ihnen entwickelte. Auch wenn sie zugeben musste, dass ihr Name im Zusammenhang mit diesen Zukunftsplänen nie fiel. Aber sie hegte die Hoffnung, an seiner Seite zu sein. Egal wo.
    „Ich bin in einem Pflegeheim aufgewachsen. Ich bin eines dieser Kinder, von denen man immer in der Zeitung liest. Kinder, die man ihren Eltern wegnimmt, weil diese sich nicht um sie kümmern.“
    Abrupt setzte Sarah sich auf. Sprachlos starrte sie
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