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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens
Autoren: Ingrid Riedel
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Hildegard-Stätten, Besuchern der großen Ausstellungen zu ihrem Leben und Werk, setzte sich ihrer geistigen Ausstrahlung aus. Stärkste Anziehung dürfte aber wohl doch von ihrer Schau der Natur und des Kosmos, ihrer Botschaft von der geschwisterlichen Eingebundenheit des Menschen in dieses größere Ganze und von einer daraus entwickelten ganzheitlichen Medizin und Heilkunst ausgegangen sein.
    Doch ist an Hildegard auch etwas Besonderes und schwer Zugängliches: Sie hatte, wie gesagt, die Gabe, innerlich zu hören, Musik und Sprache sowie innere Bilder zu sehen. Diese Begabung ist ein ganz vielschichtiges Phänomen. Doch hängt alles daran, so meine ich, wie sie diese Gabe verstand, und was die innere Musik, die Stimmen, die Bilder ihr sagten. Da vernehmen wir zum Beispiel mit ihr die einzigartige Stimme, die für sie die göttliche Stimme war, wie sie zu ihr spricht:

    »Ich bin das heimliche Feuer in allem
    und alles duftet von mir
    und wie der Atem im Menschen
    Hauch der Lohe
    so leben die Wesenheiten
    und werden nicht sterben
    weil ich ihr Leben bin.

    Ich flamme als göttlich feuriges Leben
    über dem prangenden Feld der Ähren
    ich leuchte im Schimmer der Glut
    ich brenne in Sonne, im Mond und in Sternen
    im Windhauch ist heimliches Leben aus mir
    und hält beseelend alles zusammen.« 17

    Eine Stimme ist es, die alle Sinne anspricht, die durch alle Sinne spricht: Wir haben es vernommen: »Ich dufte«, sagt diese Stimme. Hat man je zuvor gehört, dass Gott dufte? »Ich flamme, ich leuchte, ich wehe«, so hört sie Gott sagen, so erlebt sie Gott.
    Daraus gewinnt ihre eigene Sprache – Hildegard hat, wie gesagt, zahlreiche Hymnen gedichtet und vertont 18 – ihren unverwechselbaren Klang und eine besondere Kraft.
    Man kann auch heute, und ich meine gerade heute, von dieser Frauengestalt betroffen sein, angerührt und sie immer mehr auch für sich selbst als bedeutungsvoll entdecken. Was mich an ihr vor allem anspricht, ist dieses, dass sie etwas miteinander verbindet, was in der Geschichte der Christenheit allzu oft völlig auseinandergerissen wurde: Sie gilt als Heilige (obwohl sie bis heute offiziell nicht heilig gesprochen ist), sie wird vom Volk schon zu Lebzeiten als Heilige verehrt, und es ist gleichzeitig etwas an ihr, was die sogenannten »Hexen« charakterisierte, nämlich, dass sie eine große Heilkundige ist, eine Heilerin, im Sinne ihrer Zeit. Und zugleich ist etwas in ihr von dem, was dieweisen Frauen auszeichnete, die großen Frauengestalten der keltischen und der germanischen Frühzeit, wie auch die der Anfangszeiten Israels. Hildegard war Prophetin wie Deborah, die große Frauengestalt des Alten Testaments. Sie hat weisende Worte für ihre Zeit, für den Kaiser Friedrich Barbarossa, für die damaligen Päpste.

    Vielleicht das Originellste an Hildegard war, dass sie zugleich Naturkundige ist, hochinteressiert an allen Erscheinungen der Natur, insofern in gewisser Weise Naturforscherin. Sie ist eine der besten Pflanzen- und Tierkennerinnen ihrer Zeit. Ihre naturkundlichen Bücher enthalten genaue, liebevolle Beschreibungen der Fischarten 19 zum Beispiel im Gebiet des Rheins und der Nahe, aus deren Gebiet sie stammt. Einzelne Biologen unserer Zeit behaupten, dass es zumindest nichts Vollständigeres über diese Fischarten dort zu lesen gebe als ihre Beschreibungen. Was interessierte diese Frau nicht alles! Zum Beispiel hat sie die Wanderungen der Aale und deren Laichgewohnheiten genau beschrieben.
    Ebenso geht sie den Lebensgesetzen und Wirkungsweisen der Pflanzen 20 nach, wobei sie diese im Sinne der mittelalterlichen Signaturenlehre, oft nach ihrer Form den Organen zuordnet. Der Signaturenlehre liegt ein altüberliefertes, aus der Antike stammendes Analogiegesetz zugrunde, das sich auf die Symbolik alles Lebendigen beruft und das man natürlich mit großer Freiheit anwenden kann. Hildegard tut das keineswegs unbedacht, sondern sie vergewissert sich, ob und wie die einzelnen Heilpflanzen wirken. Ich betone das auch, damit man mit Hildegards Rezepten in diesem symbolischen Sinne umgeht und sie nicht einfach wörtlich übernimmt. Es ist eine Menge Symbolik darin enthalten, und vor allem der Grundgedanke, es gäbe kein Leiden auf der Welt, keine Krankheit, für die nicht auch ein Kraut gewachsen wäre. Ich nehme an, dass Hildegard auchmit den Kräuterfrauen ihrer Zeit durch ihr klösterliches Sprechfenster hindurch in enger Verbindung stand. Es sind nicht alle Rezepte von ihr erfunden – und
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