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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens
Autoren: Ingrid Riedel
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soll nicht aufhören, und wir selbst sind Teil der Bewegung.«
    So werden wir – den Träumen Dorothee Sölles folgend – aufgerufen, an der Schöpfung bewusst zu partizipieren, mitzuarbeiten an der Schöpfung, die nicht als vergangene, abgeschlossene Tatsache vorzustellen ist, sondern als Prozess, der unsere eigene Zukunft entwirft. Hier erinnere ich wieder an Hildegard von Bingen, die früh dazu aufrief, an der Schöpfung mitzubauen, wie an »Gottes schönem Leibe«. Dazu seien wir da. Einer von Dorothees Träumen lautet, in Gedichtform gefasst, in die für sie stimmigste Sprache der Träume, so:

    »…
    Einmal werden die bäume die lehrer sein
    das wasser wird trinkbar
    und das lob so leise
    wie der wind an einem septembermorgen
    …« 35

    Eine Spiritualität der Schöpfung, so Sölle, erinnert uns zugleich daran, »dass wir zur Freude geboren sind«, zur Freude, die im Herzen lebendig sein kann, selbst bei den immer möglichen körperlichen Schmerzen und Gebrechen, von denen sie selbst viele kannte. In diesem Zusammenhang sagte sie auch: »Der sich in Gott verlierende Mensch verliert die totale Abhängigkeit vom körperlichen Wohlbefinden und tauscht sie gegen eine Interdependenz mit dem, was ›im Herzen‹ ist.« Es gibt offenbar auch eine Mystik des Umgangs mit Schmerzen.
    In dem Gedicht »Ich dein baum« 36 , auch ein poetisches Bild, spricht Dorothee Sölle einmal in schöner Klarheit aus, wie all ihr eigenes Träumen sich dem Träumen Gottes verdanke:

    »…
    Du hast mich geträumt gott
    wie ich den aufrechten gang übe
    und niederknien lerne
    schöner als ich jetzt bin
    glücklicher als ich mich traue
    freier als bei uns erlaubt« 37

    Diese Gegenseitigkeit des Träumens und Geträumtwerdens ist es, was ihre Art des Träumens, das zugleich Zwiesprache mit Gott ist, ausmacht:

    »…
    Hör nicht auf mich zu träumen gott
    ich will nicht aufhören mich zu erinnern
    dass ich dein baum bin
    gepflanzt an den wasserbächen
    des lebens« 38

    Kommt nicht ein neues Lebensgefühl auf, ein neues Selbstgefühl und Selbstwertgefühl, wenn ich diese Vorstellung, der Baum Gottes zu sein, in mich einlasse?
    Die Sprache der Poesie war für Dorothee Sölle die eigentliche Sprache ihrer Träume und damit »Theo-Poesie«, die sie für die adäquatere Sprache angesichts der Wirklichkeit Gottes hielt, im Vergleich zur klassischen Theologie mit ihrem Sprechen über Gott, in Analogie zum Logos der Wissenschaft.
    »Theo-Poesie« dagegen ist, analog zu den Psalmen, Zwiesprache mit Gott in Frage, Zweifel, Staunen und Rühmen. Wir erinnern uns: Alle die großen Frauen, die ich vorgestellt habe, hatten ein besonderes Verhältnis zur Sprache. Hildegard von Bingen war selbst eine große Theo-Poetin. Marguerite Porète war es nicht minder, schrieb sie doch ihre Dialoge auch in einer hinreißenden Art und literarischen Qualität. Teresa von Avila – keine Frage – war eine starke Ausdruckskraft in Wort und Schrift eigen. Edith Stein wiederum schrieb in einer prägnanten wissenschaftlichen Prosa über die Theo-Poesie des Johannes vom Kreuz. Dorothee Sölle schließlich sagt, Theologie müsse in einer Sprache, die betet und singt, ausgedrückt werden, also in Gestalt von Theo-Poesie.

    Ich mache jetzt einen Sprung zu einem letzten Gedanken. Schon während des Evangelischen Kirchentags in Leipzig war es, dass Dorothee Sölle einen Gedanken in den Raum warf, der mich traf wie ein elektrischer Funke: Einzuwilligenin die eigene Sterblichkeit sei eine Konsequenz ökologischen Denkens. So dass wir, wenn wir von Ökologie sprächen, nicht nur von einer heilen Erde schwärmen, sondern auch unsere Sterblichkeit mitbedenken sollten, die zur Ökologie des Lebens dazu gehöre.

    Als ich dann in ihrem Todesjahr die Todesanzeige für Dorothee Sölle in der Hand hielt, sah ich den Moment wieder vor mir, in dem sie in all ihrer temperamentvollen Lebendigkeit diesen Gedanken vertreten hatte. Damals war sie im Blick auf ihre Gesundheit schon spürbar gefährdet gewesen und hatte also gewusst, wovon sie sprach. Die Schlichtheit und Kühnheit des Gedankens, einzuwilligen in die Sterblichkeit als Konsequenz ökologischen Denkens, berührte mich, und ich spürte, dass ich ihn mir zu eigen machen würde.
    In Berlin, während einer Tagung der Katholischen Akademie, traf ich sie zuletzt: Sie hatte Meister Eckarts eigenwillige Auslegung der Maria- und Martha-Geschichte vorgetragen, wo Eckart bekanntlich für Martha als die reifere der beiden Frauen
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