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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen
Autoren: Silke Fink
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Wechseljahre immer unregelmäßiger wird.« Die Hormonspirale erspart den schockierenden Blick in die Vergänglichkeit, den ich gerade erfuhr, nur weil ich die viel billigere Kupferspirale trug. Damit ich nicht jeden Monat aufs Neue an das nahende Ende meiner Fruchtbarkeit erinnert werde, steige ich für 300 Euro sofort um. Und ja: Das fühlt sich viel jünger an.
    Ich bin so alt wie meine Mutter war, als mein Vater sie zwang, ihr Leben umzustellen. Mutter und Vater glaubten an die eine, an ihre große Liebe. Und als die von meinem Vater nach 23 Jahren in Frage gestellt wurde, weil er eine neue große Liebe gefunden hatte, hieß es in der Nachbarschaft, er sei in seiner Midlife Crisis . Als ihm klar wurde, dass er in dem Laden, wie er die Bundeswehr nannte, nachdem er ein paar Illusionen verloren hatte, nichts mehr werden würde, dafür seine Kinder immer frecher wurden und ihm die eigene Frau nicht mehr begehrenswert genug erschien, schmiss er in dem Moment alles um, als seine Existenz von diesem Experiment zwar noch bedroht, aber nicht mehr ruiniert sein würde.
    Heute erlauben wir Frauen uns eine zweite Pubertät mit Anfang 40: Weil wir es uns wert sind und weil wir es selbst bezahlen können. Ob Scheidung, Kündigung, Auswanderung oder Zeugung, wir sind gewiss, dass wir niemals mehr im Leben so viele Optionen haben werden. Mit unserem Optimierungswahn kommen wir den Männern zuvor, die darauf zügig reagieren müssen und selbst keine Gelegenheit mehr haben, ihren eigenen quälenden Sinnfragen
und Versäumnissen nachzugehen, so sie denn wollten. Überdies lenkt es uns Superfrauen herrlich davon ab, dass wir unweigerlich der Menopause entgegenstreben. Wir fühlen uns immer noch und manch eine jetzt erst recht: unwiderstehlich und sexy.

    Meine Eltern hätten Alt-68er sein können, aber sie waren keine, denn sie hatten nicht studiert, und durch das Bundeswehrumfeld verbot sich eine allzu deutliche Sympathie. Dennoch übernahmen sie für unsere Erziehung ein paar liberale Anschauungen und befreiten sich teilweise aus dem engen Moralkodex meiner Großeltern. Sie wollten modern sein, und dazu gehörte es auch, in Fragen der Sexualität tolerant zu sein. Mein Bruder und ich genossen also die verlässlichen Werte von damals, kombiniert mit ein paar antiautoritären Experimenten.
    »Ich vertraue darauf, dass mein Appell an eure Einsicht Gehör findet«, pflegte Vater zu sagen und zog Falk damit auf, dass er sich freue, wenn er seine Freunde kennenlerne, bevor sie ganz zugewachsen seien. Lange Haare waren in, das Protestsignal gegen die Spießer, aber manchmal schwer durchzusetzen und unserer Eltern Erlaubnis war ein starker Solidaritätsbeitrag. So durfte mein Bruder lange Haare tragen und ich ganz kurze. Und mit unseren ersten Partnern durften wir ungestört in den Kinderzimmern schmusen. Ihre Erziehung war gut für meinen Bruder und besser, als ich es vertragen konnte.
    Selbstverwirklichung war ein Wort, mit dem ich bereits als 15-Jährige laborierte, aber das ich erstmalig von meinen Eltern hörte, als ich längst volljährig und mit der Schule fertig war. Sie entdeckten mit Ende 40 ihre Selbstverwirklichung, während sich mein ganzes Leben bis dahin ausschließlich darum drehte.
    Sie ersparten meinem Bruder und mir die Details ihrer Selbstverwirklichung nicht, und so erfuhren wir, wie unangenehm es ist, wenn sich die eigenen Eltern nicht mehr länger als asexuelle Wesen verhalten, wenn wir etwas von ihren intimen Wünschen, privaten Sehnsüchten und dem Überdruss an ihrer Ehe mitbekamen. In der Familie sprachen wir nicht mehr über unsere Belange, sondern nur noch über ihr verbrauchtes Leben. Ich fand das rücksichtslos, und sie fanden, das heißt: besonders mein Vater fand,
dass er es sich endlich verdient habe, auch mal an sich zu denken. Das fand ich alles lästig, denn ich war in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass meine Eltern ewiglich für mich da zu sein hatten. Während mein Vater in den Armen einer fremden Frau seinen eigenen Bedürfnissen nachspürte, jammerte meine Mutter etwas übertrieben von Altersarmut und ich verstand, warum sie uns Kinder so gut loslassen konnten.
    Meine Eltern waren schon Eltern, als ihnen die Pille zu Hilfe kam. Erst nach meiner Geburt konnten sie so bequem und verlässlich verhüten wie nie zuvor. Die Autonomie in der Familienplanung spürte ich als Kind jeden Monat, weil ich nicht mehr Geschwister hatte, als meine Eltern versorgen konnten. Und das Abendland ging nicht so schnell
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