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Muttersoehnchen

Muttersoehnchen

Titel: Muttersoehnchen
Autoren: Silke Fink
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unter, wie Kritiker befürchteten, denn die wenigstens verweigerten sich dem göttlichen Liebesplan. Sie stellten ihn nur zeitlich um.
    Über die beiden Ereignisse, die mich als Große auswiesen, meinen 18. Geburtstag und meinen Abiball, freuten sich meine Eltern deshalb mehr als ich. Es übertraf ihre Erwartungen, dass tatsächlich beide Kinder die Schule mit dem Abitur abgeschlossen hatten, während sie selbst nur Hauptschüler gewesen waren. Sie erklärten mich zur Erwachsenen und sagten mir nie wieder, wann ich nach Hause kommen oder in welchen Klamotten ich besser nicht rumlaufen sollte.
    Auch mischten sich fortan weder Vater noch Mutter in meine Liebesangelegenheiten ein. Es war, als hätten sie einen Schalter umgelegt, der sie nicht nur juristisch von Sorgerecht und Sorgepflicht befreite. Sie nahmen meine Volljährigkeit aus egoistischen Gründen ernst und hofften, dass ich nun bald ausziehen würde: Mission accomplished. So zeigte ich mich selbstbewusst und lernte, auf mich selbst aufzupassen, wusste aber zwischendurch nicht, ob ich es tatsächlich schon gut genug konnte.

    Ich war in das Leben meiner Eltern hineingeboren worden, meine Kinder wurden in mein Leben hineingeplant. Ihr 18. Geburtstag löste nichts in mir aus, die Unfallversicherung für sie wurde nur teurer. Zum ersten Mal spüre ich jetzt den Unterschied. Unsere Volljährigkeit brachte meine Eltern in einen für sie unbekannten
Zustand: Sie wurden von niemandem mehr bevormundet und standen für niemanden mehr in der Pflicht. Ich wurde nie bevormundet und viele Pflichten habe ich in Rechte umwandeln können.
    Es geht der Familie gut, wenn es der Mutter gut geht lautete das Credo, das seit zwei Jahrzehnten durch die Republik hallt. Was ich als Mutter brauche, damit es mir gut geht, ist dasselbe, was Vater brauchte, als es der Familie noch gut ging, wenn er gute Arbeit hatte: Anerkennung. Am besten gleich aus drei Richtungen, denn nur das eigene Bankkonto inspiriert mich nicht sehr. Ich wollte Anerkennung von den Kindern, die prächtig gedeihen und mich dabei ständig vermissen sollten, von meinem Mann, der mich begehren sollte wie am ersten Tag, während er mich ganz praktisch mit seinen Hausmeisterdiensten unterstützte, und ich wollte unbedingt die Anerkennung von meinen Auftraggebern, die ohne mich nicht weiterkommen konnten.
    Aber meine Welt sah anders aus. Meine Kinder gediehen auch in meiner Abwesenheit, mein Mann ließ mich für eine Partie Go im Regen stehen. Wegen eines chinesischen Brettspiels mit einfachen schwarzen und weißen Steinlinsen, das, wie Rolf sagt, durch Logik allein nicht zu erklären sei, sondern auch viel Intuition und erhebliche Erfahrung verlange und deshalb dem Buddhismus sehr nahe komme, musste ich mich bitte gedulden. Und meine Auftraggeber vergaßen viel zu oft, mich mit Aufträgen zu versorgen. Und je öfter ich darüber nachdachte, desto schlechter ging es mir. Ständig überprüfte ich die Balance, ständig hielt ich sie für unausgewogen. »Was willst du eigentlich?«, fragte mich mein Mann immer mal wieder und ich war froh über die Frage, denn dann konnte ich detailgenau erzählen, wie unverstanden und wie stark belastet ich mich fühlte, weil ich ja schließlich zwischendurch auch arbeiten ging und jede Menge am Hals hatte. Er nickte verständnisvoll, und ich war für ein paar Tage etwas besser gelaunt. Ich suchte die Lösung in beispielhaften Details wie einer gerechteren Verteilung der Hausarbeit. Ein Punkt, der immer zu betretenem Schweigen führte, weil mein Mann wusste, dass ich damit Recht hatte. Er versprach, häufiger abzuspülen, und ich giftete ihn an, ob er denn nicht wüsste, dass wir schon lange eine
Spülmaschine haben. Ich sagte, es wäre mir schon geholfen, wenn ich ihn nicht immer wieder daran erinnern müsste, den Rasen zu mähen, und er versprach, zukünftig den Graswuchs aufmerksamer zu beobachten.
    In Wirklichkeit aber wollte ich auf den Arm. Ich spürte, dass ich mit meinem Emanzipationsgedanken am Ende war. Eines Tages würde sich meine Familie von mir emanzipieren.

    1991: DEUTSCHLAND UND DIE WELT

    KRIEG
    Im Zweiten Golfkrieg befreit eine westliche Streitmacht ohne deutsche Soldaten das besetzte Kuwait, stoppt aber ihren Vormarsch im Irak. In Deutschland werden alle Karnevalszüge abgesagt.

    OSTBLOCK
    Die ehemaligen Ostblock-Staaten vereinbaren die Auflösung des Warschauer Paktes.

    TERROR
    In seinem Düsseldorfer Haus wird der Vorsitzende der Deutschen Treuhand, Detlef Karsten
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