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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)
Autoren: Martina Rosenberg
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sie es auf das Gymnasium geschafft hat, macht ihn sehr stolz. So erzähle ich ihm über das Leben seiner Enkeltochter. Beim Abschied verspreche ich, dass sie bald vorbeikommen wird, ihn zu besuchen.
    Heute ist es leicht gewesen, sich mit ihm zu unterhalten. Er schimpft nicht, ich rege mich nicht auf, und wir hatten eine entspannte halbe Stunde. Als ich auf dem Weg zur Haustür bin, greift er nach seinem Rollator. Er will unbedingt mit ans Gartentor gehen.
    Auf der Straße drehe ich mich noch einmal nach ihm um. Ich sehe ihn da stehen, eine Hand am Rollator, mit der anderen winkt er mir nach.
    Was ist das nur für eine verrückte Welt, denke ich mir. Da steht nun ein liebenswerter alter Mann, der seiner Tochter nachwinkt. Aber schon am nächsten Tag könnte es sein, dass er wieder über mich oder über seine Söhne schimpft, und keiner kommt dann gut bei ihm weg.
    Ich nehme mir vor, in Zukunft nur noch diese Seite von ihm zuzulassen. Sobald er anfängt zu schimpfen, werde ich einfach gehen. Und ich werde ihm sagen, dass ich wiederkomme, wenn er gut gelaunt ist.
    Doch ist es möglich, einen über achtzigjährigen Mann noch zu ändern?
    Eine Spur Normalität
    Mein Leben mit Abstand zu den Eltern läuft langsam wieder in normalen Bahnen. Unsere täglichen Gesprächsinhalte beziehen sich nicht mehr ausschließlich auf die Situation der Eltern. Wir wohnen jetzt ein Jahr im neuen Haus, und mit der räumlichen Entfernung kommt allmählich auch die emotionale Distanz.
    Die Situation ist weiter dramatisch, der Zustand meiner Mutter unverändert schlecht. Mal hat sie gute Tage, an denen ein Funken von Wahrnehmung erkennbar ist, dann wieder sitzt sie völlig bewegungslos da. Jeder Besuch bei ihr ist ein Stich in mein Herz. Verdammt, das hat sie nicht verdient, denke ich immer wieder. Obwohl ich die meiste Zeit verdränge, dass sie einst meine Mutter war, tut es weh.
    Erst kürzlich habe ich auf der Geburtstagsfeier meines Onkels einen alten Film angeschaut, in dem meine Mutter und ich als Kind zu sehen waren. Eine lebendige Frau, die ihre Tochter hoch in die Luft geworfen und herzlich dabei gelacht hat. Diese Bilder haben sich in meinen Kopf gebrannt, doch ich sehe keine Verbindung mehr zu der Frau, die sie heute ist. Uns beide vereint nur eines – die tiefe Traurigkeit über das, was wir viel zu früh verloren haben.
    Die Momente der Frustration werden dennoch weniger. Meine wöchentlichen Besuche finden seit Kurzem vorzugsweise am Abend statt. Mein Vater sitzt dann mit einem Glas Wein im Wohnzimmer, und ich geselle mich zu ihm. Abends habe auch ich mehr Zeit, da ich seit einigen Monaten meine Stelle als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit in Vollzeit ausübe. Es sind mehr Aufgaben hinzugekommen, und ich bin froh, mich tagsüber in die Arbeit stürzen zu können. Doch auch der finanzielle Aspekt spielte eine große Rolle bei der Entscheidung. Ein neues Haus kostet oftmals mehr Geld, als man ursprünglich denkt. Und wir haben schwer zu kämpfen mit den Kosten, die dem Hausbau hinterherrollen. So bin ich froh über dieses Angebot meines Arbeitgebers.
    Obwohl vorher für mich nicht vorstellbar, schaffe ich es jetzt tatsächlich, weniger über die Situation meiner Eltern nachzudenken. Inga hält sich an die Abmachung und ruft mich nicht ständig an. Kontakt mit den Eltern habe ich nur, wenn ich mich bewusst dazu entscheide. Ein unglaublich wichtiger Schritt für mich, der dafür sorgt, dass sich viele meiner gesundheitlichen Probleme verlieren. Herzrasen und hoher Blutdruck gehören der Vergangenheit an. Selbst die Geräusche im Ohr höre ich nicht mehr. Seit unserem Wohnungswechsel hatte ich auch keine Erkältung mehr. Es scheint so, als wäre ich auf dem richtigen Weg. Nur meine Schlafprobleme sind geblieben. Ich reagiere immer noch auf das kleinste Geräusch in meiner Umgebung. Es führt dazu, dass ich mit klopfendem Herzen aufwache und Adrenalin in mein Blut schießt. Dann liege ich für den Rest der Nacht wach. Manchmal schlafe ich nächtelang nicht richtig, was dann zu Konflikten innerhalb der Familie führt. Besonders wenn Jens Schuld daran trägt. So wie heute.
    »Oh Mann! Muss das sein?«, fauche ich ihn an, als er die Schlafzimmertür öffnet und Licht macht. Ich war gerade eingeschlafen.
    »Oh! Tut mir leid«, sagt er. »Ich dachte, du schläfst schon fest.«
    »Damit ist es jetzt vorbei«, sage ich, greife nach meiner Decke und gehe ins Gästezimmer. Bekümmert sieht er hinter mir her.
    Ich will jetzt meine Ruhe
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