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Mutter des Monats

Mutter des Monats

Titel: Mutter des Monats
Autoren: Gill Hornby
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glatt wieder vergessen. Das war eines von vielen Dingen, die Rachel so an Georgina mochte. Man wusste immer genau, was sie dachte. Ein Blick in ihre blauen Augen, und schon war klar, dass ihr der Gedanke an das Mittagessen entschlüpft war wie eine Fliege einem Marmeladenglas. Ganz offensichtlich war sie mit Wichtigerem beschäftigt.
    »Heather«, sagte Georgina plötzlich. »Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber … Weißt du, dass du in den Klamotten total bescheuert aussiehst?«
11 Uhr: Große Pause
    Es fühlt sich an wie Trauer, dachte Georgina. So war es ihr auch in den ersten, seltsam konfusen Monaten nach dem Tod ihrer Mutter gegangen. Mitten im Alltagstrott, bei ganz normalen Routinearbeiten, Baby ins Bettchen legen oder Kartoffelreste vom nassen Boden klauben, hatte ihr die Realität einen Schlag in die Magengrube verpasst.
    An diesem Morgen war es genauso gewesen. Kinder in die Schule gebracht, das Baby in den Laufstall gelegt, Wasser aufgesetzt, Essensreste in Schüsseln geleert – eine für die Schweine, die andere für die Hühner – und wieder ein Schlag. Eine andere, grässliche Realität hatte sie so schlimm getroffen, dass ihr die Luft weggeblieben war: Bald würde hier eine Horde Frauen einfallen. Und Georgina sollte für sie kochen!
    Mit dem Hintern an den Herd gelehnt begutachtete sie die Schäden, die der heutige Morgen hinterlassen hatte. Dass sie mit ihren Vorstellungen von Haushaltshygiene nicht der Norm entsprach, war ihr nicht nur klar, sondern unter normalen Umständen auch völlig schnurz. Sie wusste genau, wie viel sie machte, dass sie von morgens bis abends schuftete, und die Dinge, auf die es wirklich ankam, immer erledigte. Die Kinder bekamen genug zu essen und waren ordentlich angezogen, die Tiere lebten so lange, wie es ihre Lebenserwartung vorgab. Zugegeben, der Bauernhof der Martins war mit Sicherheit nicht das Haus von Martha Stewart, »Amerikas bester Hausfrau«. Aber Martha Stewart hatte ja wohl auch weniger Kinder und keinen ausgewachsenen Dreckspatz zum Mann, oder? In einem Haus, in dem keiner wohnt, meine liebe Martha, ist es verdammt leicht, die perfekte Hausfrau zu mimen.
    Doch selbst Georgina musste sich eingestehen, dass ihr Haus heute wirklich nicht tipptopp war. Es gab immer irgendwas zu tun, das war ihr schon vor einiger Zeit aufgefallen. Ihr Haushalt war wie einer dieser biblischen Orte, wo nie Frieden und Ordnung herrschten und wo Menschen immer irgendwelche Prüfungen von Gott in Form von Seuchen oder Naturkatastrophen auferlegt bekamen.
    Heute hatte der Herr Schuhe geschickt. Auf dem Boden stapelten sich so viele Schuhe, Boots, Pumps, Turnschuhe und mit Schlamm verkrustete Gummistiefel, dass man selbst den Dreck auf den Steinfliesen darunter nicht mehr sehen konnte. »Wieder ein Beweis dafür«, sagte sie zu Hamish, »dass alles eine gute Seite hat.« Hamish lehnte sich ans Gitter des Laufstalls und lutschte an seinem Zwieback.
    »Hammy, mein Kleiner, alles, was wir brauchen, ist ein System.«
    Hamish gurrte.
    »Wir brauchen einen Platz für die Schuhe. Genauso würde Bea das machen. Wahrscheinlich hat sie einen speziell dafür angefertigten Schuhschrank. Das können wir auch. Und schau, das hätte noch einen Vorteil« – sie hatte Hamishs ungeteilte Aufmerksamkeit, sein Zwieback verharrte auf halbem Weg zum Mund –, »weil wir dann beim Rausgehen genau wüssten, wo die Schuhe sind. Dann würde mich nämlich auch keiner mehr danach fragen, weil eben alle genau wüssten, dass die Schuhe im Schuhschrank stehen.«
    Georgina und Hamish stierten mit entrücktem Blick auf ein entlegenes Paralleluniversum, in dem Routine und Ordnung herrschten. Dann trank Georgina einen Schluck Kaffee, gab sich einen Ruck und stellte sich wieder der Realität.
    »Aber das wird natürlich nicht passieren.«
    Hamish widmete sich wieder seinem Zwieback.
    Irgendwas musste sie unternehmen, auch wenn sie sich damit nur über das Mittagessen hinwegrettete. Mit langfristigen Strategien hatte Georgina nichts am Hut, aber sie war die unbestrittene Heldin der halb garen Lösungen. Wohin könnte sie das ganze Schuhchaos verfrachten? Unter den Staubflusen auf der Bodenleiste ihres Verstandes blitzte etwas auf: Würde sie da mal drüberwischen, würde sie klarer sehen. Ja, das war’s. Ha! Der Geschirrspüler! Der Geschirrspüler, der seit Wochen kaputt war, und um den sie sich immer noch nicht gekümmert hatte. Die Körbe waren schon vor einigen Tagen in Henrys Zimmer verschwunden, weil
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