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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch
Autoren: Raidy
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zu sein. Eines Tages im Spätfrühling, als ich von der Schule nach Hause kam, zerrte Mutter mich ins Elternschlafzimmer. Dort schrie sie mich an, dass ich die erste Klasse würde wiederholen müssen, weil ich ein schlechter Junge sei. Ich verstand nur Bahnhof. Ich wusste, dass ich mehr Klassenarbeiten zurückbekommen hatte, auf denen ein »lachendes Gesicht« war, als alle anderen in meiner Klasse. Ich gehorchte meiner Lehrerin und hatte das Gefühl, dass sie mich mochte. Doch Mutter brüllte mich weiter an und warf mir vor, dass ich Schande über die Familie gebracht hätte und ernsthaft bestraft werden würde. Sie beschloss, mir für immer Fernsehverbot zu erteilen, mich ohne Abendessen ins Bett zu schicken und mir alle Arbeiten im Haushalt aufzubrummen, die sie ersinnen konnte. Nach einer weiteren Tracht Prügel schickte Mutter mich in die Garage, wo ich an der Wand stehen musste, bis sie mich ins Bett schickte.
    In den Sommerferien setzten Mutter und Vater mich auf dem Weg zum Campingplatz bei Tante Josie ab. Niemand hatte mir etwas davon gesagt, und ich konnte nicht verstehen, warum sie mich nicht mitnah-men. Ich fühlte mich wie ein Geächteter, als der Kombi fortfuhr und ich zurückblieb. Ich fühlte mich so traurig und leer. Ich versuchte wegzulaufen. Ich wollte meine Familie finden und seltsamerweise aus irgendeinem Grund bei meiner Mutter sein. Ich kam nicht weit, und meine Tante informierte meine Mutter später von meinem Fluchtver-such. Das nächste Mal, als Vater eine 24-Stunden-Schicht hatte, bezahl-25

    te ich für meine Sünde. Mutter schlug, kniff und trat mich, bis ich zusammenbrach. Ich versuchte, ihr zu erzählen, dass ich weggelaufen war, weil ich mit ihr und dem Rest der Familie zusammen sein wollte.
    Ich versuchte, ihr zu sagen, dass ich sie vermisst hatte, aber Mutter verbot mir den Mund. Ich versuchte es noch einmal, und Mutter stürmte ins Badezimmer, schnappte sich eine Seife und rammte sie mir in den Mund. Danach durfte ich nicht mehr sprechen, es sei denn, ich wurde dazu aufgefordert.
    Wieder in die erste Klasse zu gehen, war wirklich eine Freude. Ich kannte die Grundlektionen und wurde sofort zum Klassengenie ernannt.
    Da ich zurückgestuft worden war, waren mein Bruder Stan und ich in der gleichen Jahrgangsstufe. In der Pause ging ich zu Stans Klasse hinüber, um mit ihm und seinen Klassenkameraden zu spielen. In der Schule waren wir die besten Freunde; zu Hause wussten wir jedoch beide, dass er mich ignorieren musste.
    Eines Tages eilte ich von der Schule nach Hause, um Mutter eine gute Klassenarbeit zu zeigen. Mutter zerrte mich ins Elternschlafzimmer und schrie mich an. Sie blaffte, sie hätte einen Brief vom Nordpol bekommen. In dem Brief stünde, dass ich ein »schlechter Junge« sei und dass der Weihnachtsmann mir zu Weihnachten keine Geschenke bringen würde. Mutter wütete immer weiter und beschuldigte mich, wieder Schande über die Familie gebracht zu haben. Ich stand wie gelähmt da, während sie mich unerbittlich weiter beschimpfte. Ich hatte das Gefühl, in einem Albtraum zu sein, den Mutter geschaffen hatte, und ich betete, dass ich irgendwie aufwachen und der Spuk vorbei sein würde. Vor Weihnachten lagen in diesem Jahr nur ein paar Geschenke für mich unter dem Weihnachtsbaum, und die waren von entfernten Verwandten. Am Morgen des ersten Weihnachtstags wagte Stan es, Mutter zu fragen, warum der Weihnachtsmann mir sonst nur zwei Bilder zum Malen nach Zahlen gebracht hätte. Sie hielt ihm einen Vortrag: »Der Weihnachtsmann bringt nur guten Jungen und Mädchen Spielzeug.« Ich warf Stan einen verstohlenen Blick zu. Er blickte traurig drein, und es war klar, dass er Mutters gemeine Spielchen durch-schaute. Da ich meine Strafe immer noch nicht abgebüßt hatte, musste ich am ersten Weihnachtstag meine Arbeitskleidung anziehen und meine Hausarbeit erledigen. Während ich das Badezimmer putzte, bekam ich einen Streit zwischen Mutter und Vater mit. Sie war wütend auf ihn, weil er »hinter ihrem Rücken« die Bilder für mich gekauft 26

    hatte. Mutter erklärte Vater, dass es ihre Aufgabe sei, »dem Jungen«
    Disziplin beizubringen, und dass er mit seinen Geschenken ihre Autori-tät untergraben hätte. Je länger Vater widersprach, desto wütender wurde sie. Ich konnte heraushören, dass er in diesem Streit der Unterle-gene war und ich auf seine Unterstützung künftig auch nicht mehr hoffen konnte.
    Ein paar Monate später übernahm Mutter eine ehrenamtliche Arbeit als
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