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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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sich in benachbarten Sprachen weitgehende Umstrukturierungen auf allen Ebenen ergeben, vom Wortschatz über die Wortstellung bis hin zu lautlichen Ähnlichkeiten, die alle direkt auf Sprachkontakte und Mehrsprachigkeit zurückgehen. Musterbeispiele sind die Balkansprachen und ihr «Sprachbund». (Steinke 2012, Hetzer 2010);
    werden Sprachen, die vom europäischen Typus weit entfernt sind, wie Ungarisch, Baskisch oder Türkisch, mit der Zeit durch Kontakt mit den Eurosprachen der Umgebung immer ‹europäischer›; sie gleichen viele Strukturen einander an (Heine/Kuteva 2006). Eben dieses Phänomen lässt sich auch im Einwanderungsland Deutschland nachweisen: So werden das hier gesprocheneTürkische, Russische, Jugoslavische mit der Zeit immer ‹deutscher› (‹Deutschland-Türkisch› etc., s.u.). Wir halten vorläufig fest:
    Sprachkontakt war und ist der Normalfall weltweit. Sprachkontakte bewirken immer Änderungen in allen beteiligten Sprachen. Je intensiver der Kontakt ist, desto intensiver die Änderungen. Wandel ohne Sprachkontakt mag es auch geben – er fällt aber kaum ins Gewicht und besitzt für das Europa des 21. Jahrhunderts kaum noch Bedeutung. Dass auch das Deutsche seine Sprachkontakte auf vielen Ebenen widerspiegelt, ist also zu erwarten (und nicht erst zu postulieren).
Sprachkontakte und Sprachkonflikte at all times
    Mittlerweile scheut man sich auch nicht mehr – da Sprachkontakte nicht wirklich etwas besonderes sind –, sie at all times zu betrachten, auch wenn es für sehr weit zurückliegende Kontakte keine Belege gibt. «Seit den Zeiten der Antike gibt es keine Kultur mehr, deren Entwicklung nicht deutlich durch Kontakte mit Nachbarkulturen – und damit auch mit deren Sprachen – beeinflusst worden wäre. Seit Beginn der Neuzeit (…) sind Sprachkontakte eine allgemeine Erscheinung der Kulturgeschichte (…). Sie manifestieren sich in allen Lebensbereichen, von der höchsten offiziellen Ebene sprachpolitischer Beziehungen … bis hin zur Szene der populären Kultur.» (Haarmann 2006, 330)
    Menschen und ihre Sprachen begegnen sich nicht nur, sie geraten auch aneinander. Sie können in ihren Ausdrucksweisen konkurrieren, wobei sich meist Effektivität, politische Macht und vitale Stärke durchsetzen. Sprachkontakte und Sprachkonflikte gehen immer parallel.
    Der erste, hier relevante Clash of Languages ist der Kontakt der von Osten her einwandernden Indogermanen mit den Ursprachen Europas im 5. Jahrtausend v. Chr. Hier war zum ersten Mal eine Population gezwungen, eine vollkommen fremde Sprache zu übernehmen und zu akzeptieren, dass sich kulturelle Dominanz vor allem sprachlich ausdrückt: «Die Alteuropäer lernten die fremdartige indoeuropäische Sprache der Steppenleute, denn die Sprache der Elite genoss uneingeschränktes Prestige und diente den Herrschenden als Instrument ihrer politischen Kontrolle.»[ 3 ] Dies war so etwas wieEuropas ‹Urszene› der Konkurrenz von Mehrheits- und Minderheitensprache. Das Baskische mag der letzte lebende Ausläufer dieses großen Clash sein. Spuren lassen sich aber auch in ‹unseren› Sprachen nachweisen: Wörter wie griechisch thálassa ‹Meer› oder der Name der Stadt Korinth , auch das lateinische persona (etruskisch ‹Maske›) gehen auf untergegangene Ursprachen zurück.
    Weitere Clashes prägen das europäische Mittelalter: Im 1. Jahrtausend glichen Bulgarisch, Rumänisch und Albanisch in intensivem Kontakt viele Strukturen einander an: So haben sie z.B. den europäischen Infinitiv weitgehend abgeschafft und ihn durch einen Nebensatz ersetzt – in Europa eine ganz exotische Sache! Das slavische Bulgarische hat in seinem Clash mit der Sprache der einwandernden Turkstämme im 7. bis 9. Jahrhundert sogar alle seine (sechs) Kasus verloren!
    Und auch das Englische geht auf einen typischen Clash zurück: Durch die jahrhundertelange Herrschaft der französischsprachigen Normannen auf der britischen Insel hat sich das Altenglische einer wahren Revolution unterziehen müssen und ist am Rande der Neuzeit quasi runderneuert als ein anderer Sprachtyp, eben als das moderne Neuenglische, das wichtige Teile seiner Grammatik eingebüßt hat (oder: sie anders ausdrückt), wieder aufgetaucht.
    Gerade in Europa haben sich in der Geschichte einzigartige Regionen und
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