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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Autoren: Edward Kelsey Moore
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Büffet, um nach Little Earl oder Erma Mae Ausschau zu halten. Ich erblickte Erma Mae, die grade von ihrem Hocker aufstand und in die Küche ging. Ich nahm ihre Anwesenheit und die Ruhe auf der anderen Straßenseite als gutes Zeichen, was Big Earls Befinden betraf. Mit einem optimistischen Gefühl und ein wenig genervt von Mama, die mich mit ihrem Geister-Insiderwissen ganz kirre gemacht hatte, folgte ich James an unseren Tisch.
    Richmond winkte Carmel Handy gerade zum Abschied, und Clarice starrte mit seltsamem Blick das Besteck an, als wir bei ihnen ankamen. James setzte sich neben Richmond, und sofort waren die beiden in ein Gespräch vertieft. Ich musste nicht hinhören, um zu wissen, wovon sie redeten. Seit 1972 sprachen sie über dieselben zwei Themen. Sie redeten entweder über Football oder übers Boxen. Genaugenommen sprachen sie über berühmte Sportler der Vergangenheit und wie sie wohl im Vergleich zu berühmten Sportlern der Gegenwart abschneiden würden. Wenn Lester erst einmal hier war, würde die Unterhaltung hitzig werden. Er verkündete jede Woche aufs Neue, dass Joe Louis, der Braune Bomber, es mit Ali und Tyson gemeinsam hätte aufnehmen und im Alleingang eine ganze Fußballmannschaft hätte fertigmachen können. Wenn Richmond oder James ihm darin widersprachen, wurde Lester ungehalten und fing an, mit seinem Gehstock gegen das nächste Tischbein zu hämmern, während er darauf beharrte, dass sein Alter und seine Lebensweisheit ihm ein besseres Urteilsvermögen verliehen.
    Clarice hockte auf der Stuhlkante, gab ihre beste Benimmkurs-Haltung zum Besten und hatte einen Ausdruck im Gesicht, der wohl ein Lächeln darstellen sollte. Clarice hatte ein schmales, hübsches Gesicht mit schönen, runden Augen und einem breiten, ansprechend geschnittenem Mund. Aber an diesem Tag schob sie ihren Unterkiefer vor, kniff die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander, als versuche sie mühevoll etwas zurückzuhalten. Ich hatte dieses Gesicht lange nicht an ihr gesehen, aber ich kannte es nur zu gut. Und ich konnte mir auch vorstellen, was seine Rückkehr zu bedeuten hatte. Ich musste dagegen ankämpfen, ans andere Tischende zu gehen und Richmond windelweich zu prügeln. Aber das war nicht meine Angelegenheit. Ich wusste aus Erfahrung, dass mein Eingreifen in dieser Sache nicht geschätzt wurde.
    Bevor sie Richmond heiratete, ging ich zu Clarice und erzählte ihr ein paar Dinge über ihren Verlobten, von denen ich fand, sie sollte sie wissen. Keine Gerüchte, keine Mutmaßungen. Ich saß mit meiner ältesten Freundin auf der Couch im Wohnzimmer ihrer Eltern und schilderte ihr, dass ich Richmond am Tag zuvor spät abends dabei beobachtet hatte, wie er eine Frau küsste, die bei mir um die Ecke wohnte. Und dass ich sein Auto auch am Morgen noch vor dem Haus hatte parken sehen. Es schmerzte mich, ihr das sagen zu müssen, denn ich mochte Clarice sehr. Aber Clarice hatte immer behauptet, dass sie, wenn es um Männer ging, von ihren Freundinnen erwarte, ihr die kalte, ehrliche Wahrheit zu sagen, selbst wenn es wehtat. Ich war jung damals, gerade mal einundzwanzig, und ich hatte noch nicht verstanden, dass fast alle Frauen, die diese Forderung stellten, logen.
    Clarice wäre nicht Clarice, wenn sie meine Kunde über Richmond nicht anmutig und gelassen aufgenommen hätte. Ich begriff erst, dass ich meiner Pflichten als Trauzeugin enthoben und aus dem Haus geworfen worden war, als ich mich bereits draußen auf der Veranda wiederfand und mir die Tür gegen den Hintern schlug. Doch schon am nächsten Tag kam sie zu mir nach Hause, mit einem Arm voll Brautmagazinen, und tat so, als hätte unsere Unterhaltung nie stattgefunden. Am Ende war ich doch ihre Trauzeugin, und seither sagte ich nie wieder etwas über Richmond und seine Betrügereien.
    Nachdem wir unser Begrüßungsritual mit Küsschen und Hallo absolviert hatten, fragte ich Clarice: »Hast du Big Earl heute schon gesehen?«
    »Nein«, antwortete sie. »Warum fragst du?«
    »Nur so. Ich musste bloß vorhin an ihn denken«, sagte ich, was auch der Wahrheit entsprach, wenn auch nicht der ganzen.
    Clarice meinte: »Er taucht bestimmt bald auf. So einer wie er versteht doch gar nicht, was Ruhestand heißt. Im Übrigen habe ich das Gefühl, er ist sonntags vor allem so gern hier, weil sie da nicht arbeitet.«
    Clarice machte eine Kopfbewegung hinüber zu dem einzigen leeren Tisch im Raum. Er stand in der hinteren Ecke und war bedeckt von einer glänzenden, goldenen
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