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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Autoren: Edward Kelsey Moore
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damit er mit mir gemeinsam litt. Aber ich war artig und schlich mich aus dem Zimmer.
    Abgesehen von dem leisen Brummen von James’ Schnarchen drei Zimmer weiter, war das einzige Geräusch in der Küche das tiefe Sirren des schiefen Deckenventilators, der über meinem Kopf wirbelte. Ich machte das Küchenlicht an und sah zu diesem Ventilator hoch, der beharrlich um seine eigene Achse eierte. Mit brennendem Zeh und dem anhaltenden Drang, meine schlechte Laune irgendwo abzulassen, kam ich zu dem Schluss, dass es vielleicht nicht zu rechtfertigen sein mochte, wenn ich James aufgrund meiner Hitzewallungen oder meines schmerzenden Zehs anblaffte. Es war aber sehr wohl rational zu begründen, wenn ich etwas Dampf abließe, indem ich ihn wegen des vor achtzehn Jahren unsachgemäß angebrachten Ventilator anschnauzte. Aber genauso wie gegen mein Verlangen, ihn aufzuwecken, um sein Mitgefühl einzufordern, kämpfte ich auch gegen diese Versuchung erfolgreich an.
    Ich machte die Kühlschranktür auf, um den Wasserkrug herauszuholen, beschloss dann aber spontan, lieber den Kopf hineinzustecken. Ich war bereits fast bis zu den Schultern drin und genoss die frostigen Temperaturen, als ich bei dem Gedanken kichern musste, dass jemand, der sehen würde, wie ich den Kopf in den Kühlschrank statt in den Ofen steckte, sagen würde: »Die dicke Frau hat anscheinend keinen blassen Schimmer, wie ein anständiger Küchenselbstmord funktioniert.«
    Also griff ich doch nach dem Wasserkrug und entdeckte daneben eine Schale kühl und köstlich aussehender Trauben. Ich holte sie zusammen mit dem Krug heraus und stellte beides auf den Küchentisch. Dann holte ich mir ein Glas vom Geschirr-Abtropfständer und nahm es mit an den Tisch. Auf dem Weg streifte ich meine Hausschuhe ab, um das kalte Linoleum an meinen nackten Fußsohlen genießen zu können. Ich setzte mich auf den Stuhl, der nun schon seit drei Jahrzehnten mein Platz war, und schenkte mir ein Glas Wasser ein. Dann stopfte ich mir eine Handvoll Trauben in den Mund, und langsam fühlte ich mich besser.
    Ich liebte diese Zeit des Tages, die Zeit kurz vor Sonnenaufgang. Jetzt, da meine Kinder Jimmy, Eric und Denise alle erwachsen und aus dem Haus waren, waren die frühen Morgenstunden nicht mehr verbunden mit langsam verstreichenden Minuten, in denen man sich Husten oder Weinen anhörte. Oder später dem Geräusch von Teenagerfüßen lauschte, die sich ins oder aus dem Haus schlichen. Nun hatte ich Zeit, die Ruhe zu genießen und die Art und Weise, wie das gelblich-graue Licht der aufgehenden Sonne in den Raum fiel und alles von schwarz-weiß in Farbe verwandelte. Die Reise von Kansas nach Oz, und das alles in meiner Küche.
    An diesem Morgen brachte das Tageslicht allerdings eine Besucherin mit sich: Dora Jackson. Ich schlug die Hand vor den Mund, um einen Aufschrei der Überraschung zu unterdrücken, als ich meine Mutter in den Raum schlendern sah. Sie kam aus Richtung der Hintertür, und ihr kleiner, kompakter Körper watschelte mit schwankendem Schritt herein, der daher rührte, dass irgendein Landarzt ihren Fuß stümperhaft behandelt hatte, als sie ein kleines Mädchen gewesen war.
    Die Leute nannten uns immer »die Zwillinge«, meine Mama und mich. Wir sind beide rundliche Frauen – mit vollem Busen, fülliger Taille und breiten Hüften. Außerdem teilen wir, was oft freundlich ein »interessantes« Gesicht genannt wurde – schmale Augen, Hängebacken, eine breite Stirn und große, aber perfekte Zähne. Ich war mit knapp eins sechzig ein paar Zentimeter größer, aber wenn man Fotos von uns anschaute, dann hätte man schwören können, wir wären ein und dieselbe Frau in verschiedenem Alter.
    Meine Mutter liebte ihr Aussehen. Sie stolzierte immer auf ihren ungleichen Beinen durch die Stadt und streckte die großen Brüste heraus, und allein vom Hinsehen wusste jeder sofort, dass sie sich für das heißeste Ding überhaupt hielt. Mir gelang es nie, meinen zylinderförmigen Körper so zu lieben wie Mama ihren. Aber ich lernte, ihren selbstsicheren Gang nachzuahmen, und das war vermutlich das einzig Gescheite, was ich je tat.
    An jenem Sonntagmorgen trug Mama ihr bestes Kleid, das sie normalerweise nur für Sommerhochzeiten und an Ostern herausholte. Es war hellblau, und der Kragen und die Aufschläge der kurzen Ärmel waren mit einem zarten gelben Blumenmuster und grünen Ranken bestickt. Ihr Haar war hochgesteckt, so wie sie es bei besonderen Anlässen immer trug. Sie setzte sich
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