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Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)

Titel: Mrs Roosevelt und das Wunder von Earl’s Diner: Roman (German Edition)
Autoren: Edward Kelsey Moore
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von sich weg. Er trieb seinen Part in ihrem kleinen Ritual auf die Spitze, indem er sich die Gabel schnappte und noch einen letzten, schnellen Bissen von dem Kuchen nahm. Dann zwinkerte er ihr zu.
    Dass ihr Mann Diabetiker war, hatte Clarice zwei Jahre zuvor erfahren, als sie einen Anruf aus dem Krankenhaus bekam und man ihr mitteilte, dass er komatös in seinem Büro an der Universität aufgefunden worden war und vielleicht nicht durchkommen würde. Wochenlang lag er auf der Intensivstation, und noch Monate danach war er nahezu hilflos, spürte weder seine Füße, noch hatte er Kraft in seinen schönen Händen. Als sie ihn endlich wieder mit nach Hause nehmen konnte, bekniete, piesackte, umschmeichelte und bezirzte sie ihn, damit er wieder gesund wurde.
    Mit beeindruckendem Erfolg. Er war schneller wieder auf den Beinen, als seine Ärzte es prognostiziert hatten. Und als er sich erholt hatte, brachte er seine Dankbarkeit für die Fürsorge, mit der sie sich um ihn gekümmert hatte, ganz reizend zum Ausdruck. Er erzählte jedem, der es hören wollte, ja sogar Fremden, die er auf der Straße anhielt: »Diese Frau hat mir das Leben gerettet; mich zu einem neuen Menschen gemacht.«
    Und Richmond war ein neuer Mensch. Zum ersten Mal in ihrer Ehe war er tatsächlich der Mann, den sich Clarice immer selbst vorgemacht hatte. All die Liebe, die sie für ihn empfand, die Zuneigung, die sich so lange so unangemessen angefühlt hatte, schien plötzlich nicht mehr fehl am Platz. Es war wie eine zweite Chance im Leben, eine wunderbare Wiedergeburt für sie beide.
    Es hielt zwei Jahre an. Zwei schöne Jahre.
    Eine zierliche Frau in einem knielangen, hellbraunen Kleid und schwarzen Lacklederpumps ging zielstrebig auf Richmond zu. Sie beugte sich vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, und gönnte Clarice und dem halben Speisesaal einen Blick auf ihren winzigen Hintern.
    Die Schraubzwinge um Clarices Kopf wurde wieder enger. Da ist er, dachte Clarice, der Grund, warum Richmond letzte Nacht erst im Morgengrauen heimgekommen war.
    Da sie ihre Brille in der Handtasche hatte, konnte Clarice die Frau, die mit ihrem Mann tuschelte, nicht identifizieren. Sie wühlte suchend nach der Brille, hielt sich dann jedoch zurück. Die Einzigen, die sie regelmäßig mit Brille zu Gesicht bekamen, waren ihre Klavierschüler. Dieses Zugeständnis dem Alter gegenüber hatte sie sich erst abgerungen, nachdem sie eine leichte Verschlechterung im allgemeinen Niveau ihrer Schüler bemerkt hatte. Das, wie sie sich eingestehen musste, rührte daher, dass sie nicht mehr in der Lage war, feine technische Fehler zu sehen – einen abgeflachten Finger, ein Handgelenk, das genau im falschen Moment absank, hochgezogene Schultern. Nur wenige Leute wussten überhaupt, dass Clarice eine Brille besaß, und ganz sicher würde sie Richmonds neuester Partnerin bei der Praktizierung außerehelichen Geschlechtsverkehrs nicht den Gefallen tun, sie matronenhaft zu sehen. Nicht heute.
    Clarice lehnte sich zurück, in der Hoffnung, dass sie mit etwas mehr Abstand die Frau schärfer sehen konnte. Sie schwankte bereits auf den Hinterbeinen ihres Stuhls, bis sie das Gefühl hatte, gleich hintenüberzukippen. Nur der Gedanke an Richmonds aktuellen Seitensprung, der sich über sie kaputtlachte, wie sie da auf dem Rücken am Boden zappelte, während ihre besten Sonntagspumps mit der Spitze zur Decke zeigten, brachte Clarice dazu, sich wieder gerade hinzusetzen.
    Sie wollte nicht so unverhohlen hinstarren, dass Richmond und die Unbekannte es bemerken könnten, trotzdem bemühte sich Clarice, das andere Tischende zu erkennen. Wer auch immer diese Frau war, Richmond reagierte mit einem so breiten Lächeln auf sie, dass seine geraden, überkronten Zähne vom augenplagenden Weiß nagelneuer Aluminiumverkleidung sichtbar wurden und ihn um Jahre jünger erscheinen ließen.
    Genau in diesem Moment spürte Clarice etwas in sich zerbrechen. Der bewundernde Blick auf Richmonds Gesicht, als er vor ihrer Nase mit diesem dürren Flittchen in ihrem Polyesterkleid flirtete, war entschieden mehr, als sie ertragen konnte. Clarice hatte jahrzehntelang keine Szene gemacht, ganz gleich wie groß die Provokation gewesen war. Aber jetzt, am Fenstertisch in Earl’s Diner, vor einigen ihrer ältesten Freunde, war sie drauf und dran, dieses Neuland endlich zu betreten.
    Bevor sie darüber nachdenken konnte, was sie tat, erhob sich Clarice von ihrem Stuhl und schrie »Richmond!«, laut genug, dass es im
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