Mr. Vertigo

einen nicht allzu amüsanten Scherz. «Und wie willst du das anstellen?»
    «Wie du willst. Die Methode ist nicht wichtig. Entscheidend ist bloß, dass du mitmachst – und dass du begreifst, warum es getan werden muss.»
    «Ich kapier gar nichts mehr. Wovon redest du eigentlich?»
    «Ein großer Mann hat mal zu mir gesagt: ‹Wenn ein Mann am Ende ist, hat er bloß noch den Wunsch zu sterben.› Wird es damit verständlicher? Ich hab diese Worte vor langer Zeit gehört, und damals war ich zu dumm, hinter ihren Sinn zu kommen. Aber jetzt weiß ich es, und ich sag dir was, Diz – es sind wahre Worte. Wahrer hat noch nie ein Mensch gesprochen.»
    Dean lachte schallend. «Du bist mir vielleicht ein Witzbold, Walt. Du mit deinem schrägen Sinn für Humor, der lässt dich aber auch nie im Stich. Das gefällt mir so an dir. Kein anderer in dieser Stadt hat so verrückte Ideen wie du.»
    Ich seufzte über die Beschränktheit dieses Mannes. Es war harte Arbeit, mit einem solchen Clown zu reden, und ich wollte auf gar keinen Fall die Geduld verlieren. Ich nahm noch ein bisschen von meinem Drink, spülte die aromatische Flüssigkeit ein paar Sekunden im Mund herum und schluckte. «Hör mir zu, Diz», sagte ich. «Ich hab dasselbe durchgemacht wie du. Vor zwölf, dreizehn Jahren war ich der Größte. Ich war der Beste meines Fachs, eine Klasse für sich. Und ich sag dir, was du auf dem Spielfeld geleistet hast, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich gekonnt habe. Neben mir bist du ein Pygmäe, ein Insekt, eine lächerliche Teppichmilbe. Hörst du mir zu? Und dann, einfach so, ist was passiert, und ich konnte nicht mehr weitermachen. Aber ich hab nicht auf das Mitleid der Leute spekuliert, ich hab mich nicht zum Gespött gemacht. Sondern ich habe einen Schlussstrich gezogen und mir danach ein neues Leben aufgebaut. Ich habe gehofft und gebetet, dass auch du mal auf den Trichter kommst. Aber du kapierst es einfach nicht, wie? Dein fettes Bauernhirn ist so mit Maisbrot und Sirup verklebt, dass du es einfach nicht kapierst.»
    «Moment mal», sagte Dizzy und drohte mir mit dem Finger; auf seinem Gesicht erschien unvermutet ein freudiges Grinsen. «Moment mal kurz. Jetzt weiß ich, wer du bist. Scheiße, ich hab es die ganze Zeit gewusst. Du bist dieser Junge, ja? Dieser gottverdammte Junge. Walt … Walt der Wunderknabe. Großer Gott. Mein Daddy hat uns, mich und Paul und Elmer, in Arkansas mal zum Jahrmarkt mitgenommen, da haben wir dich gesehen. Absolute Spitzenklasse. Ich hab mich immer gefragt, was aus dir geworden ist. Und auf einmal sitzt du mir gegenüber. Ich kann’s einfach nicht glauben.»
    «Glaub’s nur, mein Freund. Als ich sagte, dass ich groß war, meinte ich: groß wie kein anderer. Wie ein Komet am Himmel.»
    «Du warst groß, allerdings, meine Hand drauf. Das Größte, was ich je gesehen hab.»
    «Genau wie du, Mann. Du warst sensationell. Aber jetzt hast du die beste Zeit hinter dir, und es bricht mir das Herz, wenn ich sehe, was du dir antust. Lass mich dir helfen, Diz. Der Tod ist gar nicht so schlimm. Jeder muss mal sterben, und für dich ist es besser heute als morgen, das wirst du schon einsehen, wenn du dich erst mal an den Gedanken gewöhnt hast. Wenn du mich machen lässt, kann ich dir die Schande ersparen. Ich kann dir deine Würde zurückgeben.»
    «Du meinst das wirklich ernst, ja?»
    «Verlass dich drauf. Ich meine es verdammt ernst.»
    «Du hast ja einen Sprung in der Schüssel, Walt. Völlig übergeschnappt.»
    «Wenn ich dich töte, werden die letzten vier Jahre vergessen sein. Dann bist du wieder groß, Champ. Und bleibst für alle Zeiten groß.»
    Ich war zu hastig. Sein Gerede von Walt dem Wunderknaben hatte mich aus dem Konzept gebracht, und anstatt einen Schwenk zu machen und es mit einer anderen Taktik zu versuchen, rannte ich mit Volldampf weiter gradeaus. Ich hatte den Druck langsam steigern und ihn mit so ausgeklügelten, wasserdichten Argumenten einlullen wollen, dass er mir am Ende aus freien Stücken zugestimmt hätte. Das war der springende Punkt: Er sollte sich nicht breitschlagen lassen, sondern selbst merken, wie klug mein Plan war. Er sollte wollen, was ich wollte, er sollte so überzeugt von meinem Vorschlag sein, dass er mich gradezu anflehte, es zu tun – und jetzt hatte ich ihn einfach überfordert und mit meinen Drohungen und unausgegorenen Platituden abgeschreckt. Kein Wunder, dass er mich für verrückt hielt. Ich hatte die Zügel fallen lassen, und jetzt, wo es