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Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell

Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell

Titel: Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
Autoren: Rebecca Hunt
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Gewicht der wachsenden Erwartung wurde es zum Wettstreit, wer das Schweigen am längsten halten konnte. Esther fing einen Laut am Gaumen ab, bevor er ein kenntliches Wort werden konnte. Da räusperte sich Mr. Chartwell. Esther beugte sich vor.
    »Könnte ich ein Stück von dem Red Leicester haben?«, fragte er und schnitt sich mit dem Messer eine große Ecke ab. Er stopfte es sich ins Maul und verfiel wieder ins Nachdenken. Sie lauschten beide auf seine Kaugeräusche. Nicht nur widerlich schmatzend, sondern obendrein sehr vehement. Die Form seiner Schnauze ließ nicht zu, dass er geräuschlos oder wenigstens leise fraß, mit geschlossenen Lippen. Laut und gut sichtbar wurde der Käse zu Brei zermahlen.
    Als der Red Leicester unten war, ergriff Mr. Chartwell wieder das Wort. »Und von dem Cheshire, wenn’s recht ist?« Abermals wurde eine Scheibe abgesäbelt und von den Fängen zerkleinert. Bröckchen fielen ihm aus dem Maul auf den Tisch und das Brustfell. Er wischte sie weg und machte es nur noch schlimmer.
    Esther konnte nicht hinschauen. Um sich abzulenken, fing sie an, »Do Wah Diddy Diddy« von Manfred Mann zu summen. Da sie sich nicht konzentrieren konnte, wurde die Melodie immer falscher und schriller. Für Mr. Chartwells hochempfindliche Ohren war es der reinste Stacheldraht. Endlich gab er mit einem gewaltigen Seufzer nach.
    »Wie ich eben schon im Garten sagte, tue ich das äußerst ungern. Wenn ich bereit bin, Ihnen etwas zu erzählen, dann nur deswegen, weil ich Ihnen glaube, dass Sie es nicht weitererzählen werden. Sie kommen mir recht verschlossen vor.«
    Esther nickte mit aufrichtiger Miene. »Sehr verschlossen. Ich werde es niemand verraten.«
    »Ausgezeichnet.« Um seine Gedanken zu sammeln, legte Mr. Chartwell die Pfoten an die Schläfen und schob sie nach hinten. Unter den zurückgezogenen Backen wurden Zähne sichtbar, die normalerweise verborgen waren. In den verzerrten Schlitzaugen erschienen die weißen Ränder.
    Esther beobachtete dieses Verhalten skeptisch.
    »Also gut, zunächst einmal: Was machen Sie beruflich?«, fragte sie. Abermals quälendes Schweigen. Da sie keine Lust hatte mitzuspielen, ließ Esther den Blick durch den Raum schweifen. Sie betrachtete die an einer Wand stehende antike Anrichte. Sie stand voll mit wertlosem, aber gut gemeintem Krimskrams, der sich über die Jahre angesammelt hatte: alte Fotos und Postkarten, bemalte Teller, Punch und Judy als kitschige Eierbecher, eine metallene Puddingform. Die Sachen waren sorgfältig ausgesucht worden. Die Anrichte war mehr als nur der Abstellplatz für Urlaubssouvenirs, sie war ein strategisches Mittel, um gute Erinnerungen herbeizuzwingen, ein Floß in einem Meer der Trauer. Über der doppelten Sichtsperre eines Porzellanleuchtturms und eines Holzelefanten Michaels gerunzelte Stirn. Seine früh ergrauten Haare wehten im Wind wie eine Mähne aus alter Wolle. Von Esther, die er umarmt hielt, sah man nur ein zugekniffenes Auge und den geöffneten Mund. Sie waren an einem Strand in Cornwall gewesen, und Esther hatte über den Regen gemeckert.
    »Was machen Sie denn beruflich?«, beendete Mr. Chartwell das Patt mit einer Gegenfrage.
    Esther sah ihn an. »Ich arbeite im Westminster Palace als Bibliotheksangestellte. Ich bin jetzt seit sechs Jahren dort. Geht schon.« Ihr Lächeln sagte: muss. Obwohl sie wusste, dass es albern war, fragte sie: »Machen Sie etwas Ähnliches?«
    Amüsiert über die Vorstellung, schüttelte Mr. Chartwell den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht. Ich bin Spezialist. Ich leiste bestimmten Personen auf unterschiedliche Dauer bestimmte Dienste.«
    »Was für Dienste?«, fragte Esther.
    Mr. Chartwell atmete aus. Er atmete ein, dann wieder aus.
    »Vielleicht fangen wir besser mit meinem derzeitigen Kunden an. Dann ist es leichter zu verstehen.«
    Esther rüstete sich. »Und wer ist Ihr Kunde?«
    »Eine politische Größe«, antwortete Mr. Chartwell.
    »Abraham Lincoln?«, sagte Esther.
    »Eine britische politische Größe.«
    »Oliver Cromwell.«
    »Eine lebende britische politische Größe«, sagte Mr. Chartwell geduldig.
    Esther dachte ein Weilchen nach. »Winston Churchill?«
    Mr. Chartwell nickte schwungvoll. »Genau der.«
    Das war natürlich ein Jux. Sie wartete, dass er es zugab. Es war keiner. Er sah sie mit ausdrucksloser Aufrichtigkeit an. Er meinte es ernst. Die Vorstellung war so unmöglich, so schreiend absurd, dass Esther an die Lehne zurücksank. »Sie arbeiten für Winston
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