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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate
Autoren: Die fernen Stunden
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senkt die Lider, errötet, und tief unten in ihrem Bauch regt
sich etwas. Irgendwie macht die Anwesenheit ihres Vaters auf dem Hügel, sein
Gesichtsausdruck, auch wenn sie nicht weiß, warum, ihr erst bewusst, was sie
soeben erlebt hat. Ihr wird deutlich, dass ihre Liebe zu Matthew - denn
natürlich ist das, was sie empfindet, Liebe - seltsamerweise ihrer Zuneigung
zu ihrem Vater ähnelt, ihrem Wunsch, geschätzt zu werden, dem anderen zu
gefallen, dem unbändigen Bedürfnis, für charmant und intelligent gehalten zu
werden ...
     
    Saffy
schlief tief und fest auf der Chaiselongue neben dem Kamin, ein leeres Glas
auf dem Schoß, ein sanftes Lächeln auf den Lippen; Percy seufzte erleichtert.
Das war wenigstens etwas; zwar hing der Fensterladen lose an einer Angel, und
sie hatte auch keinen Hinweis darauf finden können, was Junipers verlorene Zeit
verursacht haben konnte, aber zumindest an der häuslichen Front herrschte Ruhe.
    Sie
kletterte vom Fenstersims und sprang das letzte Stück von den Decksteinen
herunter, darauf gefasst, im Morast zu versinken. Die Erde in dem ehemaligen
Graben war völlig durchweicht, das Wasser stieg schnell an und reichte ihr
bereits bis über die Knöchel. Es war so, wie sie vermutet hatte, sie brauchte
das richtige Werkzeug, um den Fensterladen vernünftig zu befestigen.
    Percy
stapfte zur Küchentür, wuchtete sie auf und schlug sie rasch wieder zu, um das
Unwetter auszusperren. Der Kontrast hätte größer nicht sein können. Die warme,
trockene Küche mit ihren Essensdämpfen und dem summenden elektrischen Licht war
der Inbegriff von häuslicher Gemütlichkeit, und am liebsten hätte sie sich
ihrer nassen Kleider entledigt, der Gummistiefel und schlammigen Socken, sich
vor dem Ofen eingerollt und sich um nichts mehr gekümmert. Sie wollte nur noch
schlafen in der kindlichen Gewissheit, dass irgendjemand sich um alles kümmern
würde.
    Sie musste
lächeln. Dann verscheuchte sie die törichten Gedanken. An Schlaf war nicht zu
denken. Sie blinzelte, weil ihr das Wasser von den Haaren in die Augen lief,
und machte sich auf den Weg zur Werkzeugkiste. Sie würde den Fensterladen heute
Nacht einfach provisorisch zunageln und ihn morgen bei Tageslicht ordentlich
reparieren.
     
    Saffys Traum hat einen Sprung
gemacht, Ort und Zeit sind anders, aber das zentrale Bild ist geblieben, wie
eine dunkle Silhouette auf der Netzhaut, wenn man mit geschlossenen Augen in
die Sonne blickt. Daddy Saffy ist jetzt jünger, ein knapp zwölfjähriges
Mädchen. Sie steigt Stufen hinauf, Mauern erheben sich zu beiden Seiten, und
sie wirft einen Blick über die Schulter, denn Daddy hat ihr gesagt, dass die
Krankenschwestern nicht mehr kommen, wenn sie es mitkriegen. Es ist das Jahr 1917, und es herrscht Krieg. Ihr Vater war weg, aber jetzt ist
er wieder zurück und, nach dem, was die Krankenschwestern erzählt haben, ist er
nur knapp dem Tod entronnen. Saffy geht die Treppe hoch, weil sie und Daddy ein
neues Spiel haben. Ein geheimes Spiel, bei dem sie ihm von den Dingen erzählt,
die ihr Angst machen, wenn sie allein ist, die seine Augen aber vor Freude
aufleuchten lassen. Sie spielen es jetzt schon seit fünf Tagen.
    Plötzlich,
im Traum, ist es der Tag zuvor. Saffy steigt nicht mehr die kalte Steintreppe
hoch, sondern liegt in ihrem Bett. Sie schreckt aus dem Schlaf. Allein und
verängstigt. Sie streckt die Hand nach ihrer Zwillingsschwester aus, wie sie es
immer tut, wenn sie einen Albtraum hat, aber das Laken neben ihr ist leer und
kalt. Den ganzen Morgen geistert sie durch die Korridore, versucht die Tage
auszufüllen, die jede Form und Bedeutung verloren haben, versucht dem Albtraum
zu entfliehen.
    Und jetzt
sitzt sie mit dem Rücken an der Wand in der Kammer unter der Wendeltreppe. Nur
hier fühlt sie sich sicher. Geräusche wehen vom Turm herab, die Mauern seufzen
und singen, und wenn sie die Augen schließt, hört sie es. Eine Stimme, die
ihren Namen flüstert.
    Einen
kurzen glücklichen Moment denkt sie, dass ihre Zwillingsschwester wieder da
ist. Dann, wie durch einen Nebel, sieht sie ihn. Er sitzt auf einer Holzbank am
Fenster auf der anderen Seite, einen Gehstock auf dem Schoß. Es ist Daddy,
auch wenn er verändert ist, nicht länger der starke junge Mann, der vor drei
Jahren in den Krieg zog.
    Er ruft
sie zu sich, und sie kann sich ihm nicht widersetzen.
    Sie geht
langsam, hat Angst vor ihm und seinen neuen Schatten.
    »Du hast
mir gefehlt«, sagt er, als sie neben ihm steht. Und etwas in seiner
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