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Morgen wirst Du frei sein (German Edition)

Morgen wirst Du frei sein (German Edition)

Titel: Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
Autoren: Claudia Martini
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der Polizei war keine Alternative zu dem, was ich stattdessen tat.
     
    Meine Mutter hatte den weinroten Audi 80 nach Vaters Tod behalten. Ich durfte den Führerschein machen und Fahrpraxis sammeln, indem ich sie zum Arzt, zum Einkaufen, zur Bücherei fuhr. Ohne Kritik ging es niemals ab, doch ich stellte mich taub, genoss das Fahren.
    Ich war selten allein unterwegs; es bedurfte überzeugender Argumente oder extremer Wetterverhältnisse, um den Autoschüssel ausgehändigt zu bekommen. Selbst dann fuhr ich nicht die fünfzehn Minuten zum Bahnhof, von dem aus mich der Zug nach München zur Uni brachte, sondern parkte den Wagen an der Haltestelle am Ortsende und stieg in den Bus, der für die Strecke mehr als doppelt so lang brauchte.
     
    Wir wohnten am Rand eines Dorfes, in dem die Landwirtschaft aufgegeben, die vor Jahren geplante Ansiedelung von das Landleben schätzenden Kleinfamilien aber noch nicht umgesetzt worden war. Während man im Gemeinderat über Grundstückspreise und Baugebiete stritt, zogen die Kinder der Bauern in die Städte, Brachen und Ruinen hinterlassend.
    Gelegentlich bewegte sich hinter einer der kleinen schmutzstarrenden Scheiben eine Gardine. Man sah sie kaum, die Alten, die hier ihr Dasein fristeten.
     
    In diesem Ort namens Kleinspornach, einst das Landgut eines Barons, waren Armut und Verfall an löchrigen Straßen und bröckelndem Putz deutlich sichtbar. Es lag abgelegen, der Zufall brachte keine Besucher in diese Gegend.
    Hin und wieder hörte man eine Kuh, einen Traktor, seltener ein Auto. Niemals sah ich plaudernde Menschen, die über die Straße hinweg oder an Gartenzäunen Neuigkeiten austauschten. Niemand zog Erkundigungen nach dem Befinden der wenigen Familien des Ortes ein. Es gab keine Fragen nach den Kindern und deren schulischen Erfolgen. Man fachsimpelte nicht über Mähdrescher, besprach sich nicht zu geeignetem Saatgut oder stimmte Erntetermine ab. Eine Kirche, in der man sich hätte treffen können, fehlte.
    Jeder hatte seine eigenen Probleme, die die Nachbarn nichts angingen. Man ging sich aus dem Weg, beäugte sich misstrauisch, pflegte alte Feindschaften.
    Dieser Ort war perfekt für mich, den Eigenbrötler, der sich stundenlang in der Hängematte liegend in die Welt hinaus träumte, las, mit dem Fahrrad die Gegend erkundete, durch Wälder streunte.
    Und dieser Ort war perfekt, um einen Menschen verschwinden zu lassen.
     
    Ich hatte eine Weile nachgedacht.
    Ich wollte meine Mutter in einen Teppich rollen, mir über die Schulter werfen, das Paket in den Kofferraum laden, irgendwohin fahren, meine Fracht abladen und entsorgen.
    Das war der Plan.
    Er scheiterte bereits am Teppich, wie ich erkannte, als ich auf ihm stand. So groß hatte ich ihn nicht in Erinnerung.
    Also nahm ich aus dem Wohnzimmer eine Decke, ging in die Küche und warf sie von der Tür aus über die auf dem Boden Liegende.
    Ich hatte gehofft, dass sie ausreichen würde, meine Mutter zu bedecken, diesen Körper, das Blut, vor allem aber dieses Auge, das mich zu verfolgen schien, zu verbergen, doch ich wurde enttäuscht.
    Ich ging ins Schlafzimmer, um die gesteppte Bettdecke zu holen. Ich zerrte sie vom Bett, erkannte aber rasch, dass auch sie den Zweck nicht erfüllte. Sie war zu voluminös, zu weich und ebenfalls nicht breit genug.
    Meine Verzweiflung wuchs.
     
    Hektisch sperrte ich die Haustüre auf, spähte in die mondlose, klare Nacht hinaus. Niemand war zu sehen.
    Den Autoschlüssel hatte ich bereits in der Hosentasche. Ich lief über den Hof, sprang in den Wagen und fuhr ihn mit dem Heck vor die Haustüre. Dann öffnete ich den Kofferraumdeckel und starrte ins Innere.
    Zu wenig Platz.
    Meine Mutter war nicht groß, aber beleibt. Ehrlich gesagt war sie korpulent. Fett. Sie würde niemals in den Kofferraum passen.
    Resigniert ließ mich auf die Stufen am Eingang sinken, legte den Kopf in die Hände und seufzte.
    Was ich brauchte, war eine Eingebung. Und zwar sofort.
     
    Mein Vater war Jäger gewesen. Jede freie Minute verschwand er im Wald, blieb oft die Nacht über weg. Die verbrachte er im Hochstand, eingehüllt in einen Schlafsack, das Fernglas vor sich, dampfenden Kaffee neben sich.
    Von September bis Januar gab es zu Vaters Lebzeiten bei uns täglich Fleisch. Rehe und Wildschweine landeten in allen erdenklichen Variationen auf unseren Tellern; mein Vater war ein hervorragender Schütze.
    Ich war fasziniert von der Jagd, auch wenn diese Faszination eine war, die in mir niemals die Vorfreude auf
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