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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate
Autoren: O. P. Zier
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nichts weiter als purer Zufall war, der ein Leben bestimmte. Und während ihr das wieder durch den Kopf ging, nahm sie mit entschlossenem Griff das Klammeräffchen ab und legte es in die unterste Schublade ihres Schreibtisches.
    Zwei Wochen später, als er wie ein verwitweter Pensionist in Statzing auf der mit Flechten überzogenen Bank neben dem alten Bildstock saß, hinter sich das Schnattern der Gänse einer Zucht, die es in seiner Kindheit hier nicht gegeben hatte, noch immer erfüllt von dem, was er durchleben musste, sollte es ihm so vorkommen, als hätten ihn in diesen furchtbarsten Stunden seines Lebens eine Art psychischer Endorphine vor dem Zusammenbruch bewahrt. Wie sonst sollte man so etwas ertragen?
    Jedenfalls dachte er auf der Fahrt zum Mozarteum darüber nach, dass er als Ermittler nach Jahrzehnten, in denen er schon mit den sonderbarsten Zufällen konfrontiert worden war, erstmals zu einem Opfer unterwegs war, dem er sich so nahe gefühlt hatte. Und die Kollegen zur selben Zeit zu einem potentiellen Täter fuhren, den Erichs eigene Nichte … nein, das alles war so unglaublich. Und entsetzlich! Und doch nichts weiter als einer der vielen Zufälle, die das Leben bestimmten. Den einen erwischte ein unerträgliches Unglück, und der andere tippte zur selben Zeit die richtigen Zahlen im Lotto. Der eine Käfer wurde von dem Schuh zermalmt, der einen anderen zuvor um Haaresbreite verfehlt hatte. Das alte Lied.
    »Sie wollen … wollen Sie gleich mit hinein, Chef?« hörte er Harlander leise fragen, nachdem der Motor abgestellt war.
    Erich nickte und nahm sich vor, am Tatort als professioneller Kriminalist aufzutreten – nicht als der enge Angehörige des Opfers, als der er sich fühlte.
    Die Kollegen der Spurensicherung waren schon vor Ort und dominierten mit ihrer Arbeit das Geschehen. Entschlossen betrat Dr. Laber den Raum. Aber als er dann vor Vera stand, einen ersten Blick auf die seitlich mit hinter den Rücken gefesselten Händen auf dem Boden liegende Frau warf – transparente Kabelbinder schnitten ihr tief ins Fleisch – und nur kurz ihr grauenhaft verunstaltetes, von getrocknetem Blut überzogenes helles Gesicht streifte – das breite, silberfarbene Klebeband über ihrem Mund verschwand fast zur Gänze unter der Blutkruste –, da musste er sich sofort abwenden. Er wich zuerst einige Schritte zurück, um dann auf den Gang hinauszugehen. Und schon liefen ihm die Tränen über die Wangen, und er suchte mit verschwommenem Blick die Toilette. Um Atem ringend setzte er sich in der Kabine auf die Klobrille und schluchzte laut auf. Er stützte sein Gesicht in die Hände und weinte, wie er seit dem Tod seiner Ziehschwester Helga nicht mehr geweint hatte, für den er sich damals verantwortlich gefühlt hatte – und jetzt wäre es womöglich wieder so?
    Als er nach geraumer Zeit seine Fassung halbwegs wiedererlangt hatte, die Kabine verließ und sich am Waschtisch im Vorraum mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht sprengte, beschwor er sich, gerade Vera zuliebe die Gedanken an all das zu verdrängen, was jetzt für sie beide unwiederbringlich verloren war, sondern seine volle Aufmerksamkeit auf den Täter zu richten, auch wenn er amliebsten auf und davon gelaufen wäre. Dabei wäre es ihm jetzt gleichgültig gewesen, dass sich bestimmt Leute fänden, die seinen Rücktritt als Chefinspektor in Salzburg in der Öffentlichkeit als blamables Scheitern erscheinen lassen würden.
    Aber so entschlossen er auch war, professionell seiner Arbeit nachzugehen, so unerträglich war es für den Chefinspektor, als ihm der Leiter der Tatortgruppe das Mordwerkzeug zeigte: Die schwere Mozartbüste, über deren Hinterkopf Erich jedes Mal, wenn er bei Vera im Mozarteum gewesen war, seine Hand gleiten hatte lassen. Sie war mit gestocktem Blut verschmiert, und helle Hautpartikel des Mordopfers klebten tatsächlich so auf den Wangen des Bronzekopfs, dass man bei schnellem Hinsehen meinen hätte können, es wären Tränen …
    Er brach jetzt nur deshalb vor seinen Mitarbeitern nicht in einen Weinkrampf aus, weil er sich wie in kindlichem Trotz unablässig wiederholte, dass nun nur eines zähle: Den Täter zu fassen.
    »Herr Dr. Laber … Herr Chefinspektor?«
    »Ja, entschuldigen Sie bitte.«
    »Der Täter hat offenkundig die Büste in die Hand genommen, dann wie ein Diskuswerfer ausgeholt und sie mit voller Wucht frontal auf das Gesicht der Frau krachen lassen. Und die konnte wegen der Fesselung nicht einmal die Hände
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