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Mordshunger

Titel: Mordshunger
Autoren: Frank Schätzing
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von ihr fort.
    Sie brüllte frustriert und sprang auf den großen, flachen Felsen, der über die teichartige Einbuchtung des Wassergrabens hinausragte. Ihre Pranke teilte die Luft, griff nach ihm, verfehlte seinen Kopf um Haaresbreite, schlug erneut zu, spritzte Wasser auf.
    Cüpper ließ sich unter die Oberfläche sinken. Seine Füße trafen auf Grund. Er stieß sich ab und tauchte wieder auf, nun in sicherem Abstand zu der Katze.
    Sie fauchte ihn an.
    Schnell drehte er sich in Bauchlage und kraulte den Graben entlang dorthin, wo er Hartmann das letzte Mal gesehen hatte. Das kalte Wasser brachte seine Lebensgeister zurück, verstärkte allerdings den Schmerz in seinem Bein. So ging es nicht. Cüpper drehte sich wieder auf den Rücken, auch weil er Angst hatte, die Katze aus den Augen zu verlieren.
    Oh nein, dachte er.
    Inzwischen waren es zwei. Und sie taten alles andere, als ihn aus den Augen zu lassen. Wie eine Patrouille trotteten sie am Ufer neben ihm her, verfolgten aufmerksam jede seiner Bewegungen. Cüpper sah die Muskeln unter dem sandfarbenen Fell spielen, eine Choreographie der Kraft. Beide Mäuler standen weit offen. Speichel rann in dicken Fäden heraus.
    Die absonderlichsten Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Wie sein Vater ihn an den Käfig gehalten hatte, das Erstaunen, wie unglaublich groß diese Tiere waren, wenn man sie von nahem betrachtete. Und nun die Erkenntnis, dass sie sogar noch größer waren als in seiner Erinnerung. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er mitten in einer modernen Großstadt in die Wildnis geraten war, wo er keinen anderen Wert darstellte als Futter und seine Überlebenschancen gleich null waren.
    Wieder befiel ihn Panik. Wo blieb das verdammte Zoopersonal?
    Und wo war Hartmann?
    Er machte ein paar rasche Züge und trieb um die letzte Biegung des Grabens. Hartmann war nirgendwo zu sehen.
    Dann rammte ihn etwas von unten. Er wurde gepackt, ein Stück aus dem Wasser gehoben und war den Löwen plötzlich gefährlich nahe. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er das Gesicht seines Gegners, von Hass verzerrt oder auch von Schmerz, dann fuhr ihm eine Faust mitten ins Gesicht und warf ihn nach hinten. Ohrenbetäubendes Gebrüll erscholl direkt über ihm, ein roter Rachen schob sich in sein Blickfeld, und er spürte etwas Schweres, Scharfkralliges auf seine Schulter niedersausen. Er wurde unter Wasser gedrückt, kam frei, schoss hoch und schlug heftig mit den Armen. Ein gewaltiger, funkelnder Schwall traf die Katze ins Gesicht.
    »Hau ab!«, schrie Cüpper mit überschlagender Stimme. »Los, du Mistvieh! Kusch!«
    Sie erschrak und sprang knurrend zurück, während Cüpper zusah, dass er Distanz gewann. Zu spät registrierte er, dass er wieder zum Gebäude zurückschwamm. Weiter hinten schaute Hartmanns Kopf aus dem Wasser, fast schon hatte er das Ende des Grabens erreicht, während die Löwinnen ihre ganze Aufmerksamkeit Cüpper widmeten.
    Cüpper, das Ablenkungsmanöver. Selbst in einer solchen Situation, obendrein verletzt, erwies sich Hartmann als Taktiker.
    Und dann, wie in einem Alptraum, tauchte die erste Katze eine Pfote ins Wasser.
     
    Marion stöhnte auf. Sie fühlte sich, als hätte man ihr eine Eisenstange zwischen die Augen gedroschen. Taumelnd kam sie zum Stehen und versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. In ihrem Schädel wurde pausenlos auf einen Gong geschlagen.
    Wo war Cüpper?
    Ihre Hand fuhr hoch zum Nasenrücken. Höllischer Schmerz durchzuckte sie und trieb ihr das Wasser in die Augen.
    Zugleich kam die Erinnerung.
    Der Weißhaarige hatte sie niedergeschlagen. Der Mann, der wie Fritz ausgesehen hatte.
    Max Hartmann.
    Sie drehte sich, taumelte. Niemand ringsum. Ihr Blick wanderte zu dem Gebäude und weiter hoch zum Dach. Über die Kante hing ein Arm, leblos, die Finger dunkel von etwas, das vielleicht Blut war.
    Im selben Augenblick hörte sie die Geräusche. Sie kamen von jenseits der Umzäunung, hinter der es steil zum Löwengelände abfiel. Brüllen und Fauchen und noch etwas anderes –
    Marion stolperte an die Brüstung und sah hinaus auf das Gelände. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie presste den Handrücken gegen die Zähne.
    Dann rannte sie los, um Hilfe zu holen.
     
    Cüpper war beinahe besinnungslos vor Angst. Mit fahrigen Bewegungen brachte er sich in die Waagerechte und versuchte wegzukommen. Hinter sich hörte er ein schweres Klatschen, als die Löwin ihm nachsprang. Die zweite Katze brüllte am Ufer, traute sich aber offenbar
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