Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mordsee

Mordsee

Titel: Mordsee
Autoren: Reinhard Pelte
Vom Netzwerk:
Polizeipräsidenten von mir, falls Sie ihn sehen, okay?«
    »Selbstverständlich.«
     
    *
     
    Jung betrat sein Büro an diesem Vormittag nicht mehr. Am Ausgang verabschiedete er sich von Petersen mit einem munteren: »Tschüs, Petersen. Ich mache schon wieder Urlaub.« Petersen wünschte ihm lachend gute Erholung.
    Jung war sich da nicht so sicher. Die Gerüchte und Geschichten, die in der Landespolizei über Riedel und Halsbenning kursierten, besagten, dass sie nur mit stoischem Gleichmut zu ertragen waren. Das würde ihn Arbeit und Konzentration kosten, die er normalerweise lieber für seine Beobachtungen, Gedanken und Schlussfolgerungen verwendete. Er beruhigte sich mit der Aussicht, dass nicht unbedingt harte Arbeit auf ihn wartete. Schließlich war der Fall der ertrunkenen Kadettin schon einmal abgeschlossen worden. Es bestand begründete Hoffnung, dass sie nur zu bestätigen hatten, was unzweifelhaft und aktenkundig geworden war. Und als Berater brauchte er sich auch nicht daran zu beteiligen, machte er sich noch einmal klar. Insofern konnte aus seiner Aufgabe tatsächlich eine Art erholsame Pause vom Polizeialltag werden. Dass sie auf das Segelschulschiff mussten, daran bestand kein Zweifel.
     
    *
     
    Jung döste während der Fahrt vor sich hin. Er wäre beinahe eingeschlafen, wenn ihn nicht eine Horde Jugendlicher gestört hätte, die in Eckernförde zustieg. Sie bewegten sich so, als läge eine lange, bekiffte Partynacht hinter ihnen. Sie hielten angebrochene Dosen Bier in den Händen. Sie waren laut. Er war gezwungen, ihnen zuzuhören. Ein schlaksiger Jüngling machte den Wortführer.
    »Eh, Alte, dein Ding-Dong schrillt.«
    Die Meute lachte. Ein hübscher Teenager um die 18 fischte ein pinkfarbenes Handy aus ihrem knautschigen Lederbeutel und las mit einem Lächeln auf den Lippen eine SMS vom Display ab.
    »Ha, supermegageil! Abspacken und abdancen. Eh, Alter, da verstehste nix von, wa?« Sie sah ihren Begleiter herausfordernd an und steckte ihr Ding-Dong wieder weg.
    Was unterschied dieses Mädchen von der Kadettin auf dem Segelschulschiff?, fragte sich Jung. Sie hatten annähernd das gleiche Alter oder vielmehr das gleiche Alter gehabt, wie er sich sofort korrigierte. Die eine war quicklebendig und die andere mausetot. Und sonst? Die Unterschiede mussten enorm gewesen sein. War die Begegnung nicht eine Mahnung, sich nicht auf zu angenehme Tage einzustellen? Er hatte erst kürzlich mit Urlaubsgefühlen Erfahrungen gemacht, die er lieber nicht wiederholen wollte.
    In Kiel verließ er den Hauptbahnhof in Richtung Fährhafen. Die verbleibende Zeit bis zu dem verabredeten Treffen war großzügig bemessen. Er schlenderte die Kaistraße und den Bollhörnkai entlang bis zu den Fährterminals am Schweden- und Ostseekai. Der Anblick der riesigen Schiffe stimmte ihn sehnsuchtsvoll und erfüllte ihn mit freudiger Erregung. Erinnerungen an die Zeit auf der Fregatte überschwemmten ihn. Als seine Arbeit auf dem Schiff beendet und er von Bord gegangen war, hatte er die See vermisst. Die Tiefe seiner Gefühle irritierte ihn. Aber sie ebbten an Land schnell ab und verliefen sich schließlich im Alltag. Jetzt kamen sie wieder hoch.
    Er beschloss, den angenehmen Zustand noch eine Weile zu genießen und im Seaside 61 an der Kiellinie zu Mittag zu essen. Von hier waren es nur ein paar Schritte zum Innenministerium am Düsternbrooker Weg. Er konnte sich Zeit lassen. Minutenlang verharrte er im Anblick des Hafens und der Kieler Förde.
     
    *
     
    Halsbennings Kleidung war unspektakulär, von der Art ziviler Uniformen für Männer aus Politik und Wirtschaft, die sich in letzter Zeit immer öfter gestatteten, den Schlips zum Anzug wegzulassen. Für einen Mann war er ziemlich klein. Er wirkte aber nicht so. Sein runder, geschorener Schädel ruhte auf einem hageren, fast zierlichen Körper. Dennoch wäre niemand auf die Idee verfallen, den Mann zerbrechlich zu finden. Ihn umgab eine Aura von sportlicher Zähigkeit und Ausdauer. Den wirft so leicht nichts um, dachte Jung.
    Während man an Menschen oft deren Präsenz rühmte, musste Jung bei dem Staatsanwalt das genaue Gegenteil beklagen. Er ließ seine Umgebung spüren, dass er eigentlich ganz woanders sein müsste und nur ein dummer Zufall ihn an seinen momentanen Aufenthaltsort geführt hatte. Aus blauen Augen musterte er Jung ohne Interesse.
    Ganz im Gegensatz zur Staatsanwältin. Jung fühlte sich unter ihren Blicken angegriffen. Sie spießte ihn aus großen, grauen Augen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher